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Lux perpetua

Titel: Lux perpetua Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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.
Warum knirschst du mit den Zähnen, darf ich das wissen? Ach
. . .
Ich verstehe
. . .
Jetzt fällt es mir wieder ein. Jener Gefährte des Reynevan, dieser Riese mit dem Gesicht eines Idioten. Der dich bei der Burg
     Troský in die Flucht geschlagen hat. Dieser zweite Schandfleck auf deinem Ehrenschild. Du hast behauptet
. . .
«
    ». . . dass das ein Astral war«, beendete der Mauerläufer schroff den Satz. »Das ist ein Astralwesen. Ein Wesen aus einer
     Astralebene. Die Gegenmagie, die uns stört, könnte sein Werk sein. Vor Troský habe ich seine Aura erblickt. Ich habe noch
     nie etwas Ähnliches gesehen.«
    »Es gibt keine zwei Auren, die miteinander identisch sind. Du findest auch keine zwei Paar Augen, die dieselbe Aura auf identische
     Weise wahrnehmen. Das nennt man Optik. Hast du Witelo nicht gelesen?«
    »Das Problem ist nicht die Farbe, die Größe oder die Intensität der Aura, all dies ist natürlich veränderlich, abhängig vom
     Auge des Betrachters.« Der Mauerläufer zuckte mit den Achseln. »Das Problem ist, dass alles, aber auch alles auf der Weltdrei Auren hat. Lebendig oder tot, natürlich oder übernatürlich, von dieser Welt oder aus anderen Welten, alles, aber auch
     alles hat drei Auren. Zwei davon, sie sind meist gelb und rot, umgeben das Objekt ganz nah. Die dritte schimmert in vielen
     Farben und ist weiter vom Objekt entfernt; sie erzeugt eine Sphäre, die sich um das Objekt herum bildet.«
    »Das ist Grundwissen.«
    »Der Kerl, den ich vor Troský gesehen habe, hatte zwei Auren. Eine goldstrahlende umhüllte ihn so nah, dass er wie eine in
     Gold gegossene Statue aussah. Die zweite
. . .
denn er hatte nur zwei
. . .
war keine Aura, wie wir sie kennen. Ein himmelblauer Schein
. . .
der sich
. . .
hinter seinem Rücken befand. Hinter ihm. Wie ein wehender Mantel, wie ein Schleier
. . .
Oder
. . .
«
    »Oder wie Flügel?« Die Neuphra lachte auf. »Eine Mandorla war nicht zufällig auch zu sehen? Oder eine Aureole? Ein Heiligenschein?
     Die Erscheinung wurde nicht etwa vom ewigen Licht, von der
lux perpetua
, umgeben? Denn dann hätte das womöglich ein Erzengel sein können, Gabriel vielleicht. Nein, Gabriel, soweit ich mich erinnere,
     war schlank, eher klein und schön, und der da vor Troský hatte, wie du sagst, die Visage eines Idioten und die Gestalt eines
     Giganten. Ha, vielleicht war das der heilige Laurentius? Der war angeblich ein Ochse, was den Körper wie auch den Geist anbelangte.
     Den haben sie auf einem eisernen Rost gegrillt, aber er wurde und wurde nicht gar. Sie haben eine Menge
carbones
gebraucht, bevor er fertig gebraten war.«
    »Kundrie«, sagte der Mauerläufer, »ich weiß, dass du einsam bist und niemanden zum Reden hast. Aber verschone mich mit deinen
     Anekdoten. Ich brauche keine Anekdoten. Ich brauche konkrete Anhaltspunkte.«
    Kundrie richtete ihre Rückenstacheln auf.
    »Ist ein Rat für dich vielleicht ein konkreter Anhaltspunkt?«, zischte sie. »Denn ich habe da einen vortrefflichen Rat für
     dich. Hüte dich vor diesem idiotischen Koloss. Ich bezweifle zwar, dass er tatsächlich ein Astralwesen ist, eine siderischeExistenz, denn Besuch aus der siderischen Ebene hat es seit zehn Jahren nicht mehr gegeben. Aber es treiben sich auf dieser
     Welt auch noch andere herum, die eine ähnliche Aura haben, wie du sie beschrieben hast, und die sich des Sternenelements bedienen.
     Sie leben ebenso ewig wie wir Longaevi. Sie sind genauso gefährlich wie die Nephandi. Euer Buch nennt sie die Wächter, aber
     sie haben keinen Namen. Von ihnen gibt es nur noch wenige. Aber sie sind immer noch da. Und es ist gefährlich, sich mit ihnen
     anzulegen.«
    Der Mauerläufer gab keinen Kommentar dazu ab. Er blinzelte, aber nicht so schnell, dass die Neuphra das Aufblitzen in seinen
     Augen nicht wahrgenommen hätte.
    »Schau übermorgen wieder vorbei«, seufzte sie. »Bring
aurum
mit. Dann werden wir es mit anderen Ritualen versuchen. Und besorge einen frischen Kopf, der hier stinkt schon ein bisschen.«
    »Ich schicke dir das
aurum
durch einen Knecht«, erwiderte er trocken. »Du kannst dir seinen Kopf nehmen. Mir liegt nichts daran.«
     
    Die Ostermesse ging zu Ende. Prälaten und Nonnen schritten, in weiße Gewänder gehüllt, das Mittelschiff entlang. Der Gesang
     weckte das Echo im Gewölbe des Doms.
    Christus resurgens ex mortuis,
    iam non moritur:
    mors illi ultra non dominabitur,
    quod enim mortuus est peccato, mortuus est semel:
    quod autem vivit, vivit

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