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Lux perpetua

Titel: Lux perpetua Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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sucht und Euer Hochwohlgeboren auch? Vom Alter her könnte es stimmen
. . .
Ich hab’ gehört, wie sie darüber gesprochen haben
. . .
Sie haben beschrieben, wie das Mädchen aussieht
. . .
«
    »Sie haben sie beschrieben, sagst du. Dann wiederhole doch mal die Beschreibung. Genau und in allen Einzelheiten.«
     
    Bischof Konrad hörte zu. Scheinbar aufmerksam, aber der Mauerläufer kannte ihn zu gut. Der Bischof war zerstreut, vielleicht
     weil er nüchtern war. Er widmete seine Aufmerksamkeit teils dem Mauerläufer, teils der in den Frauengemächern herumschreienden
     Claudine Haunold und teils den vom Hof heraufdringenden Rufen Kutschers von Hunt.
    »Aha«, sagte er dann. »Aha. Also das Mädchen, welchesZeugin des Überfalls auf den Steuereinnehmer gewesen ist und diesen Überfall überlebt hat, lebt immer noch. Obwohl du sie
     schon zweimal in der Schlinge hattest, ist sie dir entwischt. Und nun behauptest du, sie verstecke sich in Schalkau, auf den
     Gütern der Dzierżka de Wirsing, der Witwe des Zbylut von Szarada.«
    »Und ich bin der Meinung, wir sollten in dieser Sache etwas unternehmen.«
    Konrad kratzte sich am Kopf und pulte in seinem Ohr.
    »Was soll man da schon unternehmen?« Er spitzte verächtlich die Lippen. »Schade um die Zeit und die Mühe. Dzierżka de Wirsing
     verhält sich vorbildlich, mit den Hussiten handelt sie auch nicht mehr, spendet reichlich für die Kirche. Ich sehe keinen
     Grund dafür, sie
. . .
Und das Mädchen? Das Mädchen ist ein Nichts. Was ist sie schon für eine Zeugin? Selbst wenn sie sich noch an irgendetwas von
     dem, was sich damals ereignet hat, erinnern kann, selbst wenn sie noch jemanden wiedererkennt, wer hört denn auf sie, wer
     glaubt ihr? Schließlich weiß man doch, dass sich die jungen Mädchen in die wunderlichsten Phantasievorstellungen flüchten,
     sobald ihnen die menstrualen Dunstschwaden zu Kopf steigen. Zerbrechen wir uns darüber nicht den Kopf. Vergessen wir sie.
     Vergessen wir überhaupt, was dem Steuereinnehmer zugestoßen ist. Das ist doch fast schon vier Jahre her. Ich habe es längst
     vergessen. Alle haben es längst vergessen.«
    »Nicht alle.« Der Mauerläufer schüttelte den Kopf. »Die Fugger zum Beispiel haben es nicht vergessen. Das hat man mir erst
     vor Kurzem zu verstehen gegeben. Glaub mir, Väterchen, die wollen die Wahrheit wissen und die Schuldigen zur Rechenschaft
     ziehen. Um dies zu erreichen, setzen sie alle Hebel in Bewegung. Alle. Dieses Mädchen mag vielleicht ein Nichts sein, aber
     sie stellt eine Bedrohung dar.«
    »Also
. . .
« Der Bischof faltete die Hände und senkte den Kopf. »Wenn das so ist
. . .
Dann tu, was du für richtig hältst.«
    »Und was tust du?« Die Vogelaugen des Mauerläufers funkelten.»Wäschst du dir wie Pilatus die Hände? Hier geht es um deinen Kopf, wenn ich dich daran erinnern darf. Du hast die Steuereinnahmen
     geraubt, dich können die Aussagen des Mädchens zugrunde richten. Wenn du dich zu einer Lösung durchringst, dann wedle nicht
     nur mit deinem Gebetbuch, sondern erteile mir einen Befehl. Genau und ganz eindeutig.«
    »Birkhart!« Konrad hielt seinem Blick stand. »Sieh dich vor! »Treib es nicht zu weit!«
    Lange Zeit schwiegen beide und prüften, sich mit Blicken messend, ihre Unbeugsamkeit.
    Claudine hatte aufgehört herumzuschreien, und auch vom Hof her drangen keine Stimmen mehr herauf. Schließlich richtete sich
     der Bischof auf, seine Gesichtszüge verhärteten sich, und er kniff den Mund zusammen.
    »Auf meinen Befehl hin wirst du tun, was zu tun ist«, sagte er dann. »Und das, was getan wird, genehmigen Wir, Bischof von
     Breslau,
volumus et contentamur,
und erkennen Wir als Unserem Willen gemäß an. Wir übernehmen dafür die volle Verantwortung. Reicht dir das?«
    »Jetzt voll und ganz.«
     
    Die große Uhr, die seit der Zeit von Bischof Przecław z Pogorzeli den Turm des Breslauer Rathauses zierte, verkündete räderknirschend
     und federnquietschend plötzlich mit metallischem Schlag die neunte Stunde des Tages. Jetzt, Ende März, bedeutete dies, dass
     bis zum Sonnenuntergang und zum
ignitegium
noch etwa drei Stunden verblieben.
    Douce von Pack stand am Fenster, von Kopf bis Fuß nackt; sie hatte dem Mauerläufer den Rücken zugewandt und stützte sich wie
     eine Karyatide gegen die Einfassung. Der Mauerläufer konnte den Blick nicht von ihr lösen.
    »Komm her«, sagte er. »Bitte.«
    Sie gehorchte.
    »Du hast gesagt«, sagte er bedächtig, »dass du auch das tun

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