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Lux perpetua

Titel: Lux perpetua Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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von Posen verfasst?
     Wie wird es sich auswirken, dass Zygmunt Korybut, den sie auf Fürsprache König Jagiełłos aus der Gefangenschaft im Schloss
     Waldstein entlassen haben, nicht nach Litauen zurückgekehrt, sondern in Böhmen geblieben ist? Oder dass sich Jagiełło und
     der römisch-deutsche König Sigismund in Kürze in Luck in Wolhynien treffen werden, um über die Geschicke Osteuropas zu beraten?
     Welche Bedeutung für die Geschichte wird wohl dieTatsache haben, dass sowohl Jagiełło wie auch dem litauischen Großfürsten Witold kein Gift etwas anhaben kann, dass das Wasser
     aus der geheimnisvollen Quelle von Żmudź, das sie regelmäßig trinken, sie vor einem jeden Gift schützt? Oder, um gar nicht
     so weit in die Ferne zu schweifen, dass du, Reinmar von Bielau, die Waisen von Jan Královec dazu bringen wirst, nach Böhmen
     zurückzukehren?«
    »Wir alle möchten gern wissen, welchen Einfluss das eine oder andere Ereignis auf die Geschichte und den Weltenlauf haben
     wird. Ein jeder von uns möchte das, aber keiner weiß es. Ich möchte es auch gern, aber ich weiß es auch nicht. Aber glaub
     mir, ich gebe mir verdammte Mühe. Reynevan? He! Hörst du mich?«
    Reynevan hörte nicht. Er war versunken.
    In Albträume.
     
    Albträume stellten in der letzten Zeit für Elencia von Stietencron kein Problem dar – und wenn, dann kein großes oder bedeutendes.
     Nach der täglichen Arbeit bei den Kranken im Ohlauer St.-Zoerardus-Hospital war sie oft viel zu müde, um noch zu träumen.
Ante lucem
, noch vor Tagesanbruch, geweckt und aus dem Bett gesprungen, rannte sie mit Dorothea Faber und anderen Freiwilligen in die
     Küche, um die erste Mahlzeit vorzubereiten, die alsbald zu den Kranken getragen werden musste. Daran schloss sich das Gebet
     in der Kapelle des Hospitals an, dann kümmerte sie sich um die Patienten, danach kam wieder die Küche dran, dann das Waschhaus,
     dann wieder der Krankensaal, Gebet, Krankensaal, Fußböden scheuern, Küche, Krankensaal, wieder Küche, Waschhaus, Gebet. Am
     Ende des Tages sank Elencia gleich nach dem abendlichen Ave-Maria auf ihr Lager und schlief wie ein Stein, die Hände auf der
     Bettdecke krampfhaft zu Fäusten geballt, aus Angst vor dem plötzlichen Wecken. Es war nicht verwunderlich, dass dieser Tagesrhythmus
     ihr alle Träume nahm. Die Albträume, die früher Elencias Problem gewesen waren, hatten aufgehört.
    Umso erstaunlicher war es, dass sie jetzt wiederkehrten. Etwa seit Mitte des Advents begann Elencia erneut von Blut, Mord
     und Brand zu träumen. Und von Reynevan. Reinmar von Bielau. Elencia von Stietencron träumte einige Male von Reynevan, so Albtraumhaftes,
     dass sie begann, ihn in ihre Abendgebete einzuschließen. Nehmt ihn wie auch mich unter euren Schutz, wiederholte sie im Geiste,
     den Kopf vor dem kleinen Altar mit der Pietà und dem heiligen Zoerardus gesenkt. Gib ihm und auch mir Kraft und Trost, wiederholte
     sie, während sie auf das geschnitzte Antlitz der Schmerzensmutter blickte. So wie mich beschütze auch ihn in der Nacht, sei
     ihm Schirm und Schild und eine aufmerksame Wächterin. Und lass mich ihn wenigstens noch einmal sehen, fügte sie noch schnell
     heimlich hinzu, ganz leise und verstohlen, damit die Fürsprecherin und der Heilige sie nicht allzu weltlicher Gedanken verdächtigen
     möchten.
    Der sechzehnte Januar des Jahres 1429, der Sonntag vor dem Festtag des heiligen Antonius, war im Hospital ein Arbeitstag wie
     jeder andere, denn es gab plötzlich viel zusätzliche Arbeit.
    Die Hussiten aus Böhmen, die den ganzen Dezember über von sich reden gemacht hatten, waren am Dreikönigstag vor Ohlau aufgetaucht
     und am Tag darauf in die Stadt eingedrungen. Trotz der pessimistischen und Panik erzeugenden Vorhersagen einiger ging es ohne
     die gewaltsame Einnahme der Stadt, ohne Kampf und Blutvergießen ab. Ludwig, der Herzog von Ohlau und Nimptsch, verhielt sich
     so wie auch ein Jahr zuvor – er schloss mit den Hussiten eine Übereinkunft. Zu beiderseitigem Nutzen. Die Hussiten gelobten,
     die herzoglichen Güter nicht zu plündern und niederzubrennen, dafür gewährte der Herzog verwundeten und verkrüppelten Böhmen
     Asyl in den beiden Ohlauer Hospitälern. Und diese füllten sich sogleich mit Verletzten. Es fehlte an Pritschen und Betten,
     Matratzen und Strohsäcke wurden auf den Fußboden gelegt. Es gab sehr viel Arbeit, die Nervosität wuchs und übertrug sich sogleich
     auf alle, sogar auf die für gewöhnlich

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