Lux perpetua
stillen Prämonstratensermönche,selbst auf die immer gelassene Dorothea Faber. Die Nervosität wuchs. Die Unruhe. Die Übermüdung. Und die alles überlagernde
lähmende Angst vor Seuchen.
Den Tumult, der sie weckte, hielt Elencia zunächst für einen Albtraum. Stöhnend zerrte sie an der Barchentdecke und warf den
Kopf auf dem von Schweiß durchnässten Kissen hin und her. Wieder dieser Traum, dachte sie, an der Grenze zwischen Wachsein
und Traum, wieder träumt mir von Wartha. Die Erstürmung und das Blutbad von Wartha vor vier Jahren. Der alarmierende Klang
der Glocken, das Gebrüll der Hörner, das Wiehern der Pferde, das Geballer und das Lärmen, die wilden Schreie der Eroberer
und die Schreie der Opfer. Das Feuer, das die Häute vor den Fenstern aufleuchten ließ und in aufblitzenden Mosaiken auf dem
Sturzboden tanzte
. . .
Sie fuhr vor Schreck hoch und setzte sich auf. Die Glocken schlugen angstvoll. Geschrei erklang. Der Widerschein von Feuer
erhellte das Fenster. Dies ist kein Traum, dachte Elencia, dies ist kein Traum. Dies geschieht wirklich.
Sie stieß den Fensterladen auf, mit der Kälte drang der Geruch von Verbranntem in die Kammer. Der nahe gelegene Marktplatz
war vom Aufschrei aus hundert Kehlen erfüllt und flackerte im Licht von hundert Pechfackeln. Vom Breslauer Tor her waren Schüsse
zu hören. Einige angrenzende Häuser standen bereits in Flammen, ihr Widerschein kroch über den Himmel über dem Neuen Schloss.
Die Fackeln kamen näher. Der Boden schien zu erbeben.
»Was ist los?«, fragte eine der freiwilligen Helferinnen mit zitternder Stimme. »Brennt es?«
Das Gebäude erzitterte plötzlich, dann war das Krachen und Bersten von aufgebrochenen Toren zu hören, wilde Schreie und Schüsse.
Waffenklirren.
Die Freiwilligen und die Nonnen begannen zu schreien. Nur das nicht, dachte Elencia. Nicht so wie damals in Wartha. Nicht
schreien, nicht wimmern, sich nicht mit dem Kopf zwischen den Knien in eine Ecke kauern. Sich nicht aus Angstbepissen, wie damals. Weglaufen. Das eigene Leben retten. Mein Gott, wo ist Frau Dorothea?
Wieder das Bersten von Türen. Fußstampfen. Das Klirren von Eisen. Schreie.
»Tod den Häretikern! Schlagt zu, wer an Gott glaubt! Schlagt zu!«
In einer Ecke des Ganges verborgen, sah Elencia, wie Soldaten und bewaffneter Pöbel ins Spital eindrangen, sie sah hervorquellende
Augen, verschwitzte, rote Gesichter und in mörderischem Wahn gebleckte Zähne. Für einen Moment hielt sie sich mit beiden Händen
die Ohren zu, um die makaberen Schreie der Sterbenden nicht mehr zu hören. Sie kniff die Augen zu, um das Blut nicht zu sehen,
das in einer dicken Welle über die Stufen schwappte.
»Schlagt sie! Schlachtet sie ab! Schlachtet sie ab!«
Der Mob rannte lärmend an ihr vorbei, sie roch den Gestank von Schweiß und Alkohol. Die Nonnen im Dormitorium stießen dünne
Schreie aus. Elencia stürzte zur Tür, die zum Waschhaus führte. Vom Spital her drangen immer noch die markerschütternden Schreie
der Sterbenden. Und die wilden Rufe ihrer Mörder. Sie hörte das Scharren von Schuhen, Fackeln erhellten das Dunkel des Waschhauses.
»Ein Nönnlein! Eine Schwester!«
»Eine Hussitenhure! Schnappt sie euch, Jungs!«
Sie ergriffen sie, schleuderten sie zu Boden, stießen die sich Wehrende zwischen die Waschzuber, würgten sie und warfen ihr
ein schweres, nasses Laken über den Kopf. Sie schrie, aus Ekel vor ihrem Gestank und dem scharfen Geruch der Lauge würgend.
Sie hörte ihr schepperndes Lachen, als sie ihr das Kleid aufrissen und zerfetzten. Als Knie ihr die Schenkel auseinanderdrückten.
»He! Was ist hier los? Aufhören! Aber sofort!«
Sie kam wieder frei und riss sich das Laken vom Kopf herunter. In der Tür zum Waschhaus stand ein Mönch. Ein Dominikaner.
In der Hand hielt er eine Fackel, über dem Habit trug ereinen Halbpanzer, am Gürtel ein Schwert. Die Angreifer ließen die Köpfe hängen und murrten.
»Ihr sucht hier euer Vergnügen«, knurrte der Mönch. »Und da drüben machen sich eure Brüder über die Feinde des Glaubens her!
Hört ihr? Dort, dort ist heute der Platz für gute Christen! Dort erwartet euch Gottes Werk! Los weiter, fort hier!«
Die Angreifer gingen hinaus, die Köpfe gesenkt, murrend und mit den Sohlen über den Boden schurrend. Der Dominikaner steckte
die Fackel in eine Halterung und trat näher. Elencia versuchte mit zitternden Händen ihr zerrissenes, bis über die Hüften
Weitere Kostenlose Bücher