Lux perpetua
hinaufgeglittenes Kleid hinunterzuzerren. Tränen rannen ihr über die Wangen, ihre Lippen zitterten vor verhaltenem Weinen.
Der Mönch beugte sich über sie, reichte ihr die Hand und half ihr aufzustehen. Dann schlug er ihr mit aller Kraft aufs Ohr.
Das Waschhaus drehte sich vor den Augen des Mädchens, der Fußboden lief ihr unter den Füßen davon. Sie fiel wieder hin; noch
bevor sie wieder ganz bei sich war, kniete der Mönch auch schon über ihr. Sie schrie, bäumte sich auf und schlug um sich.
Er schlug ihr derb ins Gesicht, packte ihr Kleid über der Brust und zerriss es mit einer heftigen Bewegung.
»Häretische Hündin, du
. . .
«, stieß er hervor. »Ich werde dich schon bekehren
. . .
«
Weiter kam er nicht. Reynevan riss ihm den Kopf nach hinten und schnitt ihm mit einem Messer die Kehle durch.
Sie rannten die Stufen hinauf in die frostige Nacht, in die rot erhellte Dunkelheit, die immer noch von Geschrei und Kampfeslärm
erfüllt war. Elencia rutschte auf den vereisten Stufen aus und wäre gestürzt, hätte Reynevans Arm sie nicht gehalten. Sie
blickte auf, in sein Gesicht, sah ihn unter Tränen an, immer noch halb ohnmächtig, immer noch nicht ganz sicher, ob sie nicht
doch träumte. Die Füße gaben unter ihr nach, sie knickte ein. Er bemerkte es.
»Wir müssen fliehen«, stieß er hervor. »Wir müssen
. . .
«
Er fasste sie um die Taille und zog sie hinter ein Mauerstück ins Halbdunkel. Gerade noch rechtzeitig. Durch das Gässchen
rannte ein halb nackter, blutüberströmter Mann, hinter ihm, brüllend und schreiend, jagte der Mob her.
»Wir müssen fliehen«, wiederholte Reynevan. »Oder uns irgendwo verstecken
. . .
«
»Ich
. . .
«, sie kämpfte gegen ihre Atemlosigkeit und das Zittern der Lippen an. »Du
. . .
Rette mich
. . .
«
»Ich werde dich retten.«
Plötzlich fanden sie sich auf dem Markt wieder, am Pranger, inmitten einer wild gewordenen Menge. Elencia schaute nach oben,
geradewegs ins Antlitz des Todes. Ihr Schreckensruf erstarb ihr in der Kehle. Dies ist nur eine Skulptur, beruhigte sie sich
selbst zitternd. Nur eine Skulptur. Das im Tympanon am Westeingang des Rathauses in Stein gehauene Skelett des Todes, der
die Zähne bleckt und mit der Sense droht. Dies ist nur eine Skulptur
. . .
Aus den Fenstern des brennenden Rathauses wurde geschossen. Gewehre bellten, zischend flogen die Bolzen aus den Armbrüsten.
Das sind die Böhmen, die leichter verwundet sind, rief sich Elencia mit überraschender Klarheit ins Gedächtnis, die Leichtverwundeten
und die Rekonvaleszenten hatte man im Rathaus einquartiert. Sie hatten sich nicht entwaffnen lassen
. . .
Sie ging schwankend, ohne zu wissen, wohin. Reynevan hielt sie fest, kraftvoll umklammerte er ihre Schulter.
»Lass uns hier stehen bleiben«, zischte er. »Wir bleiben ganz ruhig stehen. So entgehen wir der Aufmerksamkeit
. . .
Sie reagieren auf Bewegung. Und auf den Geruch von Angst. Wenn wir uns nicht bewegen, bemerken sie uns gar nicht
. . .
«
So standen sie. Reglos. Wie Statuen. Inmitten des Höllentreibens.
Das Rathaus fiel, die Verteidigungsstellung wurde durchbrochen, eine Horde von Angreifern stürzte mit Gebrüll hinein. Unter
unmenschlichem Geheul begannen sie, Menschenaus den Fenstern aufs Pflaster zu stürzen, direkt vor die dort wartenden Keulen und Äxte. Ein gutes Dutzend, lebendig oder
halb tot herausgezerrt, wurde mit den Spitzen der Piken an die Mauer gespießt. Sterbende wurden zertrampelt, in Stücke gerissen.
Blut rann in Strömen und schäumte in den Rinnsteinen.
Durch die Brände war es taghell geworden. Das Rathaus stand in Flammen, der tanzende Tod im Tympanon belebte sich im flackernden
Schein, bleckte die Zähne, klapperte mit dem Kiefer und schwenkte die Sense. Die Häuser an der Ostseite des Marktes brannten,
die Tuchlauben brannten, Feuer verzehrte die Werkstätten der wallonischen Weber und die reichen Kramerläden an der Mariengasse.
Flammen tanzten an der Fassade und auf dem Dach des St.-Blasius-Spitals, Feuer fraß sich durch Balken und Dachfirste. Vor
dem Spital türmte sich ein ganzer Haufen von Leichen, auf den immer neue Körper geworfen wurden. Blutende. Verstümmelte, bis
zur Unkenntlichkeit Massakrierte. Leichen wurden an Stricken, die man ihnen um den Hals oder um die Gliedmaßen gebunden hatte,
über den Markt geschleift. Sie wurden zu den Brunnen gezerrt. Die Brunnen waren schon übervoll. Beine ragten heraus. Und Hände.
Mit
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