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Lux perpetua

Titel: Lux perpetua Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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ausgestreckten Fingern, erhoben, als erflehten sie Rache für das Verbrechen.
    »Und wenn
. . .
«, sagte Elencia ein ums andere Mal, nur mit Mühe die starren Lippen bewegend, »und wenn ich auch wanderte im Tal der Schatten
     und des Todes, so fürchte ich doch kein Unglück. Denn du bist bei mir.«
    Immer noch drückte sie Reynevans Hand, sie spürte, wie sich seine Hand zur Faust schloss. Sie sah in sein Gesicht. Und wandte
     rasch den Blick ab.
    Der tollwütige und mordlüsterne Mob tanzte und sang, hüpfte umher und hieb mit spitzenbewehrten Spießen auf die Köpfe ein.
     Köpfe wurden über das Pflaster gestoßen, man warf sie einander wie Bälle zu. Man häufte sie wie eine Gabe, wie ein Opfer,
     vor einer Schar Berittener auf dem Marktplatz auf. DiePferde, die das Blut witterten, schnaubten, stampften auf und klapperten mit den Hufeisen.
    »Du wirst mir die Absolution erteilen müssen, Bischof«, sagte einer der Reiter düster, ein langhaariger Mann in einem gold-
     und silberbestickten Mantel. »Mit meinem Herzogsehrenwort habe ich diesen Böhmen Sicherheit gelobt. Ihnen Asyl versprochen.
     Geschworen
. . .
«
    »Lieber Herzog Ludwig, mein junger Anverwandter«, Bischof Konrad von Breslau reckte sich im Sattel und stützte sich auf den
     Sattelknopf, »ich erteile dir die Absolution, wann immer du willst. Und sooft du willst. Obwohl du in meinen Augen
sine peccato
bist und gleichermaßen in Gottes Augen unfehlbar. Ein Schwur, den man einem Häretiker geleistet hat, ist ungültig und verpflichtet
     zu nichts. Wir wirken hier zum Ruhme Gottes,
ad maiorem Dei gloriam.
Diese guten Katholiken, Soldaten Christi, verleihen dort ihrer Liebe zu Gott Ausdruck, sieh doch nur. Diese Liebe zeigt sich
     stets durch den Hass auf alles, was Gott zuwider ist und was er verabscheut. Der Tod eines Häretikers ist der Ruhm eines Christen.
     Der Tod eines Häretikers nützt Christus. Und für den Ketzer selbst bedeutet die Hinrichtung seines Körpers die Rettung seiner
     Seele.«
    »Aber glaube nur nicht«, fügte er hinzu, als er sah, dass seine Worte auf Ludwig von Ohlau keinen besonders großen Eindruck
     machten, »dass ich mich ihrer nicht erbarme. Ich erbarme mich ihrer. Und segne sie in der Stunde ihres Todes. Herr, gib ihnen
     ewige Ruh.
Et lux perpetua luceat eis.«
    Ein weiterer blutüberströmter Kopf rollte vor die Füße des herzoglichen Pferdes. Das Pferd scheute, schüttelte den Kopf und
     stampfte mit den Beinen.
    Ludwig zerrte am Zügel.
    Der Mob heulte, brüllte, schrie und durchkämmte die Häuser auf der Suche nach immer weniger werdenden Überlebenden. Immer
     noch hallten in den Gassen die Schreie der Sterbenden wider. Das Feuer prasselte. Unaufhörlich wimmerte das Erz der Glocken.
    Die Skulptur des Todes im Tympanon des Rathauses lachte spöttisch und schwang die Sense.
    Elencia weinte.
     
    Reynevan hatte seine Erzählung beendet. Jan Královec, der Hetman der Waisen, blickte, an die Bombarde gelehnt, nach Striegau
     hinüber; in der hereinbrechenden Dämmerung wirkte er dunkel und gefährlich, wie ein sich anschleichendes wildes Tier. Lange
     blickte er so. Dann wandte er sich plötzlich um.
    »Wir ziehen weg von hier«, bemerkte er wie beiläufig. »Es ist genug. Wir ziehen ab. Wir gehen nach Hause.«
     
    Der Morgen war neblig, für diese Jahreszeit war es sogar ziemlich warm. Die von einem Spähtrupp und einer Vorhut aus leichter
     Reiterei angeführte und von Rotten pavesentragender Reisiger flankierte Wagenkolonne zog, Striegau hinter sich lassend, nach
     Süden. Auf der Straße nach Schweidnitz. Nach Reichenbach, Frankenstein, Wartha, Glatz. Nach Homole. Nach Böhmen. Nach Hause.
    Die Achsen ächzten unter der Last der Ladung, die Räder schnitten tiefe Spurrillen in den tauenden Schnee. Peitschen knallten,
     Pferde wieherten, Ochsen brüllten. Die Fuhrleute fluchten. Über der Kolonne kreiste eine Schar von schwarzen Vögeln.
    In Striegau läuteten die Glocken.
    Es war der zwölfte Februar Anno Domini 1429, der Samstag vor dem ersten Fastensonntag,
sabbato proximo ante dominicam Invocabit.
     
    Die Hauptleute der Waisen beobachteten den Abzug von einem Hügel am Wege aus. Der aufkommende Wind riss an den Mänteln und
     zerrte an den Fahnen.
    Die Stimmung war nicht die beste. Brázda von Klinštejn war erkältet und nieste. Matĕj Salava spuckte aus. Der von Naturaus düstere Piotr der Pole wurde immer schwermütiger. Selbst der meist heitere Jan Kolda von Žampach brummte etwas in seinen
     Bart.

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