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Lux perpetua

Titel: Lux perpetua Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Bränden
. . .
Ihr werdet sehen, Bayreuth wird sich ergeben und Lösegeld zahlen. Und wenn die Böhmen einziehen, lasse ich euch von den Hauptleuten
     schützen. Da seid ihr sicher.«
     
    Das Licht der Kerze flackerte.
    Beruhigt, gereinigt und gesättigt, hatten Jutta und Veronika zuerst geweint und damit die auf ihrer Flucht durchgestandenen
     Schreckensereignisse abreagiert. Dann wurden sie heiterer.
    »Es hat Momente gegeben, da habe ich aufgehört zu glauben«, bekannte Veronika, die an den Wirbeln einer Laute drehte, die
     sie in dem konspirativen Quartier an den Befestigungswällen unter Tybalds Sachen gefunden hatte. »Ich habe aufgehört zu glauben,
     dass es uns gelingen könnte. Ich habe gedacht, wir würden ein schreckliches Ende finden. Wenn nicht von Marodeuren vergewaltigt
     und ermordet, dann in irgendeinem Graben vor Hunger und Kälte zugrunde gehend. Gib schon zu
. . .
«
    »Ich gebe es ja zu«, bekannte Jutta. »Auch ich hatte solche Momente.«
    »Aber das liegt hinter uns! Ha! Wir haben überlebt! Jetzt wird es Zeit, an sich zu denken. Dieser Jakob Danzel
. . .
Der ist zwar noch ein Bursche, aber ein hübscher Bursche. Der hat süße Augen
. . .
Ganz einfach süß. Mach nicht so ein Gesicht. Du hast ja deinen Liebsten schon beinahe wieder, liegst ja quasi schon in seinen
     Armen. Und was ist mit mir? Ich bin immer noch allein.«
    Seulete sui et seulete vueil estre,
    Seulete m’a mon douz ami laissiee;
    Seulete sui, sanz compaignon ne maistre,
    Seulete sui, dolente et courrouciee,
    Seulete sui . . .
    Die Kerzenflamme flackerte stärker.
    »Still.« Jutta hob plötzlich den Kopf. »Hast du das gehört?«
    »Nein. Was soll ich denn gehört haben?«
    Jutta befahl ihr mit einer Geste, zu schweigen.
     
    In Bayreuth begannen plötzlich alle Glocken zu läuten.
     
    Die Tür wurde hastig aufgestoßen, Tybald Raabe stürzte herein.
    »Wir müssen fliehen!«, brüllte er. »Die Hussiten sind in der Stadt! Schnell, schnell!«
    Auf der Straße erfasste sie der Strom der Flüchtlinge, der sie in Richtung Stadtmitte trug. Von Norden her waren großes Getöse
     und eine gewaltige Kanonade zu hören, den nächtlichen Himmel färbte roter Feuerschein. Sie rannten, weil sie bereits das Herüberwehen
     von Flammenhitze und den Geruch nach Verbranntem spüren konnte. Schreien, unmenschliches und grausiges Schreien derer, die
     dem Tod ins Auge sahen, verfolgte sie.
    »Sie haben einen Überraschungsangriff gestartet
. . .
«, keuchte Tybald. »Sie sind über die Mauern gestiegen
. . .
Die Stadt ist verloren
. . .
Schnell, schnell
. . .
«
    Vor der Kirche wären sie beinahe getrennt worden, der in Panik davonrennende Pöbel trieb sie für einen Moment auseinander.
     Jutta wurde gestoßen, noch im Fallen klammerte sie sich an einen Pfeiler, ihr drohte die Luft auszugehen, nur durch ein Wunder
     stürzte sie nicht, wäre sie gefallen, hätte man sie niedergetrampelt. Tybald war plötzlich neben ihr, umfing sie, schützte
     sie mit seinem Leib und bekam noch mehr Stöße und Püffe ab. Die von der Menge fortgerissene Veronika schrie erschrocken auf.
     Der Emissär drängte sich zu ihr durch, zog sie, zitternd, mit wirrem Blick und zerrissenen Ärmeln, aus dem Tumult heraus.
    »Hier entlang, hier lang! Hinter die Sakristei!«
    Dicht neben ihnen wurde eine Frau mit einem Kind umgerannt, sie wurden zu Tode getrampelt, noch bevor eines von ihnen auch
     nur schreien konnte.
    Veronika wurde gestoßen und fiel hin, sie stürzte in den Schlamm. Sie hoben sie auf, sie schrie und zappelte, mit irrem Blick.
     Sie konnte kaum gehen, sie mussten sie mit sich fortzerren.
    Über Bayreuth stiegen jetzt die Flammen empor, sprangen mit bestürzender Eile von einem Dach zum nächsten, von einem Strohdach
     zum andern. Eine Funkensäule stieg in den Himmel. Und über dem Heulen des Brandes erhob sich Geschrei.
    Den zum Marktplatz hinführenden Gassen entschlüpften die letzten Flüchtlinge, hinter ihnen stürmten die Hussiten heran. Feuerschein
     tanzte auf Klingen und Schneiden mit tausend roten Reflexen. Die Schreie derer, denen der Tod ganz nah war, bohrten sich in
     die Ohren.
    Es wurde systematisch und ohne große Eile gemordet. Die Menge wurde in die Pfarrkirche hineingetrieben, und als sich die Kirche
     gefüllt hatte, wurde Feuer gelegt. Das Portal fingFeuer, das eng mit Menschen gefüllte Kirchenschiff, den Chor und den Altar ergriffen die Flammen. Das Innere der Kirche verwandelte
     sich in eine gigantische Brandstätte.

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