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Lux perpetua

Titel: Lux perpetua Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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gern, die Priester wählten sie nicht ohne Grund als Thema ihrer Predigten aus. Die Leute langweilten sich dabei
     weniger.
    Der Prediger, der genau wusste, wie sehr die Leute Erzählungen von Reisen liebten, spann farbig sein Garn von der Wanderung
     Tobias’ des Jüngeren, seines Führers und des Hundes durch die medische Ebene. Er erzählte von dem Fisch, den sie im Flusse
     Tigris fingen, von Herz, Leber und Galle jenes Fisches, die sie auf Anraten des Führers mitnahmen. Darüber, wie Tobias der
     Jüngere in Ekbanata, der Hauptstadt der Meder, Sara, die Tochter Raguëls, kennenlernte und wie die beiden jungen Leute eine
     schöne und aufrichtige Liebe verband. Frau Blažena unterdrückte ein Gähnen. Sie kannte interessantere Liebesgeschichten. Marketka
     seufzte und leckte sich die Lippen.
    Und der Prediger erzählte mit vor Ergriffenheit zitternderStimme von dem Fluch, der auf Sara ruhte, von dem bösen Geist Aschmodai, der verräterisch all jene tötete, die das Mädchen
     liebte. Davon, wie nach dem guten Rat seines Führers Tobias den bösen Dämon mit Räucherwerk aus der Leber des gefangenen Fisches
     vertrieb und wie er sich mit Sara zu einem glücklichen Bunde vereinte. Darüber, wie nach ihrer Rückkehr nach Ninive der Führer
     Tobias dem Älteren mit Salbe aus der Galle des Fisches das Augenlicht wiedergab. Wie groß Freude und Dankbarkeit waren, wie
     schön die Hochzeit
. . .
    »Und als die Hochzeit vorüber war«, rief Pfarrer Homolka ergriffen von seiner Kanzel, »sprach Tobias zu seinem Sohn Tobias:
     Denke daran, diesen Menschen zu entlohnen, der dich begleitet hat! Und er antwortete ihm: Vater, wie hoch soll die Belohnung
     sein, die ich ihm geben soll? Er hat mich schließlich gesund hin- und zurückgebracht, meine Frau hat er vom bösen Geist befreit
     und dich gesund gemacht
. . .
«
    »Befreit
. . .
«, hörte Frau Blažena flüstern, »gesund gemacht
. . .
«
    »Marketka? Du sprichst?«
    »Geheilt
. . .
«, flüsterte das Mädchen mühsam. »Und gesund gemacht
. . .
«
    »Marketka, was ist dir?«
    Die Leute im Kirchenschiff hoben die Köpfe, als sie plötzlich ein Geräusch hörten, das wie das Streicheln einer Feder, wie
     das Schlagen von Flügeln klang. In der Menge erhoben sich Stimmen, leise Rufe, Seufzer. Alle blickten nach oben. Der Prediger
     verlor für einen Moment den Faden, erst nach einer Weile kehrte er zu seiner Predigt und seinen Erzählungen zurück. Zu der
     Antwort, die der Führer beiden Tobiassen, Vater und Sohn, gab. »Ich werde euch die ganze Wahrheit offenbaren und euch nichts
     verheimlichen. Es ist gut, die Geheimnisse eines Königs zu verschweigen, aber es ist über alle Maßen würdig, Gottes Werke
     offenbar zu machen.«
    Das Geräusch nahm an Stärke zu. Marketka seufzte laut.
    »Ich bin einer der sieben Engel, die bereitstehen und vor denHerrn treten. Fürchtet euch nicht! Friede sei mit euch! Lobt und preiset Gott alle Zeit! Dass ich bei euch gewesen bin, ist
     nicht mein Verdienst, sondern es war der Wille Gottes. Ich aber
. . .
«
    »Nein!«, schrie Marketka verzweifelt auf. »Nein! Geh nicht fort! Lass mich nicht allein!«
    »Ich aber kehre zu dem zurück, der mich ausgesandt hat. Schreibt all das auf, was euch widerfahren ist.«
    »Er geht fort«, schluchzte Marketka in Frau Blaženas Armen. »Eben jetzt
. . .
In diesem Augenblick
. . .
Er geht fort
. . .
Für immer
. . .
für immer!«
    Blažena Pospichalova schien es, als gingen die bunten Glasfenster plötzlich zerberstend in einem gewaltigen Licht auf und
     als ergösse sich dies gewaltige Licht über den Altar und die ganze Apsis. Sie hörte ein Schlagen von Flügeln und ein Rauschen
     von Federn dicht über ihrem Kopf, und ihr war, als zerrte ihr ein Luftzug das Tuch vom Kopf. Das dauerte nur einen Augenblick.
    »Und er verschwand«, beendete der Pfarrer seine Predigt in die vollkommene Stille hinein. »Sie erhoben sich, aber niemand
     konnte ihn mehr sehen.«
    Über Marketkas Wangen rannen zwei Tränen.
    Nur zwei.
     
    Die Taboriten wurden aus der Stadt gedrängt, das Tor verbarrikadiert. Von den Mauern herab hatte man erneut zu schießen begonnen.
     Davon, Samson herauszutragen, konnte keine Rede sein, aber einige Böhmen hatten Pavesen gebracht und schirmten damit den Verwundeten
     und die, die bei ihm waren, ab.
    »Expectavimus lucem . . .«,
sagte der Riese plötzlich.
» Et ecce tenebrae . . .«
    »Samson
. . .
« Scharley versagte die Stimme.
    »Es ist geschehen, was geschehen musste
. .

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