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Lux perpetua

Titel: Lux perpetua Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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weitergehen. Ich bin gelähmt und kann mich nicht erheben. Mach mich gesund und hebe mich auf,
     im Namen Deiner Barmherzigkeit. Sende mir die Gnade des Friedens. Und gib ihr ewige Ruhe.
     
    Agnus Dei qui tollit peccata mundi. Ad te omnis caro veniet.
     
    »Amen«, sagte eine Stimme, ihn aus seiner Versunkenheit reißend. »Amen deinem Gebet, Wanderer. Friede sei mit dir.«
    Im Eingang des Kirchleins stand ein Priester, ein pelzgefüttertes Mäntelchen über der Albe, nicht besonders groß, beleibt,
     die Tonsur ausrasiert bis auf ein spärliches Haarkränzchen über den Ohren. Er stützte sich in Ermangelung einer Krücke auf
     einen sich oben gabelnden Stock, und sein Gesicht zierte ein riesiger Bluterguss.
    »Friede sei mit dir«, wiederholte er, wobei ihn das Sprechen sichtlich anstrengte und er sofort außer Atem geriet. »Du betest
     unter freiem Himmel. Bist du ein Hussit?«
    »Ich bin Arzt.« Reynevan stand auf. »Ich helfe und bringe Leidenden Erleichterung. Und da du leidest, werde ich auch dir helfen.
     Wer hat dir das angetan?«
    »Meine Nächsten.«
     
    Der Körper des Priesters war von zahlreichen blauen Flecken übersät, die sich auf der rechten Seite zu einer einzigen riesigen,
     blauschwarzen Schwellung vereinten. Der Priester japste und fiepte unter Reynevans untersuchenden Händen, er stöhnte, seufzte
     und rang öfter nach Luft. Dennoch hörte er nicht auf, zu schwatzen.
    »Anfangs
. . .
Als sie hier eingefallen sind, haben sie nur geschrien und herumgebrüllt. Dass der römische Papst ein Antichrist ist
. . .
Und mein Glauben nur ein Glauben für die Hunde. Der Glauben, habe ich ihnen darauf erwidert, ist eine Gnade, den Glauben kann
     man nicht wählen. Wie er auf mich gekommen ist, so habe ich ihn angenommen. Ohne zu widersprechen. Aber sie
. . .
Statt einen theologischen Disput zu beginnen, haben sie mir auf den Kopf geschlagen, und dann haben sie sich aufs Treten verlegt.
     Aber sie haben mich nicht erschlagen
. . .
Die Kirche haben sie auch nicht niedergebrannt
. . .
Auch nicht die Dörfer in der Umgebung
. . .
Dies bedeutet, es muss stimmen, was sie erzählen
. . .
Dass unser Herzog Przemko einen Pakt mit den Hussiten geschlossen hat. Dass sie, wenn sie ungehindert durch Troppau durchziehen,
     weder brandschatzen noch plündern
. . .
«
    »Du hast dir drei Rippen gebrochen.« Reynevan hatte nicht die Absicht, dem Priester die komplizierten Einzelheiten des Abkommens,
     das Przemko von Troppau mit Tábor geschlossen hatte, zu erklären. »Aber die Milz ist heil. Ich werde dir einen Druckverband
     anlegen und dir ein Spezifikum geben, das die Schmerzen lindert. Ich lasse dir auch eine Arznei hier, die das Wiederzusammenwachsen
     der Knochen fördert. Wenn es dich nicht stört, dass dies eine magische Arznei ist. Stört dich das?«
    »Ha!« Der Priester blickte ihn neugierig an. »Ein Hussit und ein Medicus, dazu auch noch ein Magier. Woraus besteht denn diese
     Mixtur?«
    »Das brauchst du nicht zu wissen. Und du willst es auch gar nicht wissen.«
    »Das ist doch nicht etwa schwarze Magie? Wird sie denn auch meine unsterbliche Seele keiner Gefahr aussetzen?«
    »Du kannst dich ja absichern. Vermische sie zur Hälfte mit Weihwasser.«
     
    »Du hast vor der Kirchentür gekniet.« Der Priester sah Reynevan in die Augen. »Den Krieg, in dem du kämpfst und in den du
     jetzt ziehst, hältst du für einen
bellum iustum
. Aber du weißt, dass es dir mit dem Blut deines Nächsten an deinen Händen, selbst wenn es in einem gerechten Krieg vergossen
     wurde, nicht gestattet ist, ein Gotteshaus zu betreten, bevor du nicht von deinen Sünden gereinigt bist. Habe ich recht mit
     meiner Vermutung?«
    »Hast du nicht. Nimm regelmäßig deine Medizin. Nach dem
officium matutinum,
am Mittag und vor dem
concubium.
Leb wohl, ich reite weiter.«
    »Du reitest
. . .
« Der Priester verzog das Gesicht und betastete seine bandagierte Seite. »Allein durch ein Land, dessen Bewohnern deine Glaubensbrüder
     sehr zugesetzt haben, so sehr, dass sündhafte Gedanken an Revanche erwachen. Ich kann nicht einmal für meine eigenen Pfarrkinder
     garantieren. Ich habe sie zwar Nächstenliebe gelehrt, aber in den letzten Jahren sind auf diesem Gebiet Theorie und Praxis
     erschreckend weit auseinandergeklafft. Es kann sein, dass die Leute hier mit dir auf dieselbe Art über Religion diskutieren
     möchten wie die Hussiten mit mir, das heißt mit Händen und Füßen. Hast du keine Angst?«
    »Ich habe keine Angst«,

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