Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Lux perpetua

Titel: Lux perpetua Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
Vom Netzwerk:
.
Reinmar?«
    »Ich bin hier, Samson. Halte durch
. . .
Wir tragen dich hier weg
. . .
«
    »Lass es gut sein. Ich weiß.«
    Reynevan rieb sich die Augen.
    »Marketka
. . . O luce etterna . . .«
    Samsons Stimme war schon so leise, dass sie sich über ihn beugen mussten, um etwas zu verstehen.
    »Schreibt all das nieder«, sagte er plötzlich ganz deutlich. »Schreibt all das nieder, was euch widerfahren ist.«
    Sie schwiegen. Samson neigte den Kopf zur Seite.
    »Consummatum est« ,
flüsterte er.
    Das waren seine letzten Worte.
     
    Und die Sonne wurde finster wie ein schwarzer Sack, und der Mond wurde wie Blut. Und von überallher kamen Verzweiflung und
     Schrecken. Und es stürzten die Statuen der echten und der falschen Götter, und mit ihrem Fall verachteten alle Völker das
     Leben dieser Welt.
    Und das Himmelsgewölbe zerriss von Osten bis zum Westen. Und es ward plötzlich Licht,
lux perpetua.
Und die Stimme des Erzengels drang hervor und war zu hören noch in den tiefsten Tiefen.
    Dies irae, dies illa...
    Confutatis maledictis,
    flammis acribus addictis,
    voca me cum benedictis . . .
    Reynevan weinte, er schämte sich seiner Tränen nicht.
     
    Von Eger und Königswart
, kratzte der alte Mönch und Chronist des Augustinerklosters von Sagan mit seiner Feder auf das abgeschabte Pergament,
kehrte Prokops siegreiche Armee nach Hause zurück, im Monat Februar, am Dienstag
ante festum sancti Matthaei,
ihren Einzug nach Prag triumphierend feiernd. Und es gab viel zu feiern. Bedeutende Persönlichkeiten waren gefangen genommen
     worden, und Beute und Raubgut
wurde auf dreitausend Wagen dahergefahren, so schwer, dass einige von zehn, zwölf oder gar vierzehn Pferden gezogen werden
     mussten. Was sie nicht mitzunehmen geschafft hatten, das
destruxerunt et concremaverunt,
rissen sie nieder und legten es in Schutt und Asche. In Meißen, Sachsen und Thüringen wurden zwanzig verbrannte Städte und
     zweitausend menschenleere Dörfer gezählt. In Oberfranken gab es nichts zu zählen, dort blieb eine einzige Wüstenei zurück.
    Und später hieß es in Prag und in ganz Böhmen, dies sei so ein herrlicher Kriegszug gewesen, dass sich die ältesten Leute
     nicht daran erinnern könnten, dass die Böhmen je derartiges vollbracht hätten.
    Möge Gott ihnen vergeben.
     
    Reynevan war es nicht gegeben, den Glanz des Triumphzuges zu sehen. Er kam zwar nach Prag, aber auf einem Wagen liegend, ohne
     Lebenswillen, glühend vor Fieber.
    Er war sehr lange krank.

Zwanzigstes Kapitel
    in dem Reynevan einen endgültigen Entschluss fasst. Denn wie der Apostel Paulus in seinem zweiten Brief an die Korinther schreibt:
     Das Alte ist vergangen, siehe , Neues ist geworden. Und die lux vitae , das Licht des Lebens, wartet auf diejenigen, die die rechte Wahl treffen.
    Der ungewöhnlich milde Winter von 1429 auf 1430 ging fließend und fast unmerklich in einen milden Frühling über. Schon Anfang
     März wimmelte es am Himmel nur so von Vögeln, die aus dem Süden zurückkehrten. Früher als gewöhnlich waren die Krickenten
     wieder da, früher als sonst klapperten auch die Störche in ihren Nestern auf den Dachfirsten. Wildgänse schnatterten, Kraniche
     schmetterten, verschiedenartige gefiederte Völkchen ließen ihr Zwitschern ertönen. Teiche, Sümpfe, Tümpel und Gräben hallten
     von den quakenden Chören der Frösche wider. Erlenknospen platzten auf, Weiden bedeckten sich mit ihren Kätzchen, auf den Wiesen
     blühten Anemonen und Butterblumen weiß und gelb.
    Reynevan ritt allein durchs Troppauer Land. Auf einem von Rädern und Hufen umpflügten und von Soldatenstiefeln zertrampelten
     Weg. Er folgte der zwölftausendköpfigen Feldarmee Tábors, die erst vor einer Woche hier entlangmarschiert war.
     
    Gegen Mittag hörte er Glockengeläut. Er trieb sein Pferd an, ritt dem Klang nach und gewahrte nach einer Weile auf einem Hügel
     ein hölzernes Kirchlein mit einem schlanken Türmchen, ganz unversehrt. Ohne zu zögern, lenkte er sein Pferd dorthin. Die letzten
     Wochen hatten vieles in ihm verändert.
    Auch in dieser Hinsicht.
    Er stieg vom Pferd, trat aber nicht in das Gotteshaus, obwohl das Glöcklein vom Turme immer noch den
Angelus
läutete. Er ging nur auf die Tür zu, drei Schritte davor sank er auf die Knie. Jutta, dachte er, Jutta.
     
    Agnus Dei qui tollit peccata mundi.
    Requiem aeternam dona ei, et lux perpetua luceat ei.
    In memoria aeterna erit iusta ab auditione mala non timebit.
     
    Gott, ich falle und kann nicht

Weitere Kostenlose Bücher