Lux perpetua
Befehlshaber am Abend nahm Reynevan nicht teil. Zum einen, weil man ihn nicht hinzugebeten hatte, zum
anderen, weil er die ganze Zeit darauf sann, eine Möglichkeit zu finden, zu Scharley zu gelangen. Dobko Puchała brachte ihn
davon ab, als er zum Pissen aus der Scheune trat, in der die Beratung stattfand.
»Lass es gut sein«, warf er über die Schulter, während er auf die Kohlen pinkelte. »Der Teufel mag wissen, wo Scharley jetzt
steckt, den kannst du nicht einholen. Der Rauch der Brände wird dir den Weg nicht weisen, denn sie bewegen sich schnell, um
zu verhindern, dass man sie verfolgt, und um den Anschein zu vermitteln, sie wären viele.«
In der Scheune ging es hoch her, die Hauptleute stritten sich und versuchten, einander zu übertönen. Es ging wohl um die Einflussgebiete,
denn ständig fielen von erregten Stimmen genannte Städtenamen: Gleiwitz, Beuthen, Nimptsch, Kreuzburg, Namslau und Rybnik.
»Angeblich hat Scharley vor drei Tagen Dörfer in der Nähe von Rybnik niedergebrannt«, sagte Puchała, während er ein wenig
hüpfte und seinen Pimmel schlenkerte. »Aber ich rate dir nicht, ihn dort zu suchen, Medicus, du fällst eher den Ratiborern
in die Hände, als dass du ihn findest, und die machen kurzen Prozess mit dir. Warte hier auf Scharley, der muss bald hier
eintreffen. Morgen oder übermorgen marschieren wir ab. Wir ziehen nach Cosel. Gegen Konrad.«
Scharley kam nicht, aber zum Angriff auf das Coseler Gebiet kam es zwei Tage später. Die Armee der Verbündeten war geradezu
versessen darauf, in die Ländereien des verhassten Konrad des Weißen vorzudringen; Bedřich und seine Prediger hatten eine
wirksame Propaganda betrieben, die aus dem Herzog von Cosel ein blutsaufendes Monster machte, das an zahlreichen Verbrechen
während der Kreuzzüge und der Überfälle auf Böhmen schuld war. In Wirklichkeit hatten an Kreuzzügen und Überfällen Konrad
der Ältere, Bischof von Breslau, und Konrad Kantner, Herzog von Oels, teilgenommen, Konrads des Weißen Schuld lag einzig und
allein darin, dass er der Bruder der beiden war. Aber bei derart vielen Konrads waren Irrtümer schließlich nicht ausgeschlossen.
Am Morgen des achtundzwanzigsten März stand die Hussitenarmee in Marschordnung bereit. Im Wind flatterte die weiße dreieckige
Standarte Tábors mit der Losung
Veritas vincit
und dem Kelch, daneben der Oppelner Adler auf der geschweiften Seidenfahne. Auch Korybut hatte befohlen, sein Banner zu errichten.
Es zeigte sich, dass er unter dem Emblem des Fürstentums Litauen in den Kampf zog. Der Tradition gemäß zogen die böhmischen,
schlesischen und polnischen Feldprediger vor den Soldaten einher. Die Soldaten entblößten die Häupter und begannen laut zu
beten. Auf dem Feld erscholl ein babylonisches Sprachen- und Stimmengewirr.
Bedřich ze Strážnice stellte sich vor seinem Heer auf. Nicht nur in Haltung und Stimme imitierte er Prokop, er war auchwie Prokop gekleidet, mit dem Kolpak, der Brigantine und dem Mantel mit Wolfspelzkragen. Wie Prokop standen er und sein Pferd
da wie eine Statue, wie Prokop hob er die Hand.
»Gottesstreiter!«, rief er mit donnernder Stimme, so wie Prokop. »Rechtgläubige Slawen! Vor euch liegt das Land des Feindes
Gottes wie des wahren Glaubens! Vor euch liegt das Land eures Feindes, eines grimmigen und grausamen Feindes, an dessen Händen
das Blut der Gläubigen und Frommen nicht trocken werden will! Der die Horden von Kreuzzügen gegen uns gesandt hat, um Gottes
Wahrheit zu vernichten! Jetzt ist die Zeit der Rache gekommen!«
»Rache, Rache am Feind! Der Herr ist der Gott der Rache, wenn er spricht: Ich werde Baal in Babylon strafen, ich werde seinem
Maul entreißen, was immer er verschlungen hat! Babylon soll ein Trümmerfeld werden, wo die Schakale hausen, ein Ort des Schreckens!
Entvölkert soll es sein, sein Meer soll austrocknen und seine Quelle versiegen! So spricht der Herr: Ich werde sie zur Schlachtbank
führen wie die Lämmer, wie die Schafe mit ihren Lämmern! Zur Schlachtbank! Zur Schlachtbank und ins Verderben! Vorwärts denn!
Erfüllt den Willen Gottes und erfüllt Seine Worte mit Leben! Auf! Auf zum Kampf!«
Eisenklirrend und waffenstarrend, sich über mehr als eine Meile erstreckend, eintausendunddreihundert Berittene, elftausend
Mann Fußvolk und vierhundert Wagen zählend, zog die Kriegskolonne ins Coseler Land ein.
Trotz der lauten Ankündigungen und ihres Feuereifers übernahm
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