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Lux perpetua

Titel: Lux perpetua Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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antwortete nicht. Und er wirkte auch nicht sonderlich überrascht. Es sah ganz so aus, als habe er eine solche
     Erklärung erwartet.
    »Ich habe genug«, beendete Reynevan das Schweigen. »Mehr als genug. Weißt du, was Samson damals im Februar vor den Mauern
     von Eger zu mir gesagt hat? Als er sich entschlossen hatte, uns zu verlassen und zu Marketka zurückzukehren? Er hat es mit
     den Worten des Propheten Jesaja gesagt: Licht habenwir erwartet, und nun ist es dunkel, helle Strahlen haben wir erhofft, und nun schreiten wir durch die Finsternis.«
    »In den vergangenen beiden Monaten habe ich ständig über seine Worte nachgedacht. Darüber, dass es mit mir genauso ist. Dass
     ich mich wie ein Blinder an der Wand entlangtaste und, als hätte ich keine Augen, im Dunkeln herumstolpere. Dass ich am hellen
     Tage strauchle, als wäre es tiefste Nacht. Und dass ich wie tot bin.«
    »Unterwegs bin ich einem Priester begegnet. Dieser hat mich noch an ein anderes Wort aus der Schrift erinnert, an ein Wort
     aus dem Johannes-Evangelium:
Ego sum lux mundi, qui sequitur me non ambulabit in tenebris sed habebit lucem vitae.
Ich habe genug davon, im Schatten herumzuirren, ich gehe zum Licht des Lebens. Kurz: Ich kehre der Welt den Rücken, denn ohne
     Jutta hält mich nichts in dieser Welt. Ich gehe weit weg, so weit es geht weg von Böhmen, der Lausitz und Schlesien, weil
     mich hier alles an sie erinnert
. . .
«
    Er verstummte unter dem Blick des Demeriten. Und sein Pathos schien plötzlich wie vom Wind verweht.
    »Schnaps hat mir nicht geholfen«, stieß er hervor. »Das Bordell hat mir nicht geholfen. Ich kann nicht schlafen, ich kann
     nicht einschlafen. Kaum bin ich eingeschlafen, werde ich auf meinem feuchten Kissen wieder wach, tränenüberströmt wie ein
     Kind. Wenn ich mich rasiere, trocknet die Seife in meinem Gesicht, und ich starre mit dem Rasiermesser in der Hand auf die
     Schlagader an meinem Handgelenk. Kann man so leben?«
    »Ich gehe ins Kloster, Scharley. Um mit meinem Schöpfer Frieden zu schließen. Sag was.«
    »Was gibt es denn da zu sagen?« Scharley blickte ihn eindringlich an. »Ich kann eine tiefe Persönlichkeitskrise erkennen,
     wenn ich einen erwische, der sich in den Büschen versteckt. Ich denke gar nicht daran, dich von deiner Idee abzubringen. Ja,
     ich sage sogar, dass du rein praktisch gesehen vernünftig handelst. So wie dein Geist und dein Verstand momentan beschaffen
     sind, ist es gefährlich, am Krieg teilzunehmen, denndies erfordert Konzentration, einen kühlen Kopf und hundertprozentig davon überzeugt zu sein, dass das, was man tut, richtig
     ist. Zum Teufel noch mal, ich bin dein Freund. Wenn ich von zwei Übeln das eine wählen soll, dann sehe ich dich schon lieber
     in einem Mönchsgewand als in einem Massengrab.«
    »Du hältst es also für richtig.«
    »Nein. Ich habe gesagt: Wenn ich von zwei Übeln das eine wählen soll. Aber bevor du gehst und deine Gelübde ablegst, habe
     ich noch eine Bitte. Dies ist die letzte Sache, die wir gemeinsam durchführen. Hilf mir bei der Angelegenheit mit diesem Modegecken
     der Fugger. Gut?«
    »Gut, Scharley.«
     
    »Lassen wir mal jede überflüssige Einleitung beiseite«, sagte Scharley, jede überflüssige Einleitung beiseite lassend, »und
     kommen wir gleich zum Wesentlichen. Ich weiß, wer Ihr seid, Herr. Denn ich war es, der im letzten Jahr die sächsischen Gruben
     und Hütten zerstört hat, die Ihr uns gezeigt habt.«
    »Das vereinfacht unser Gespräch.« Der Faktor der Fugger hielt seinem Blick stand. »Denn das Geschäft, das mich heute hierherführt,
     ist das gleiche wie das sächsische. Und ähnlich lukrativ. Ihr zerstört das angewiesene Objekt und erhaltet dafür ein großzügiges
lucrum.
«
    »Weiter nichts?« Der Demerit verzog die Lippen. »Solch eine Kleinigkeit? Aber warum wendet Ihr Euch damit an mich und nicht
     an Kroměšín? Nicht an Puchała, Korybut oder Wołoszek
. . .
«
    »Weil«, fiel ihm Reynevan leichtfertig ins Wort, »Korybut oder Wołoszek Ansprüche auf jenes Objekt erheben könnten. Auch die
     Polen könnten Ansprüche darauf erheben, die jeden Tag in Schlesien einmarschieren werden. Denn wenn ich recht vermute, liegt
     jenes Objekt auf einem Gebiet, das früher bereits aufgeteilt, das bereits jemandem zugesprochen worden ist.«
    Der Faktor senkte auch diesmal den Blick nicht. Er antwortete nicht, er lächelte nur.
    »Klar«, rief Scharley, »klar wie die Sonne. Was heißt das denn schon für mich?

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