Lux perpetua
sogar einen Anlass dazu: Ich schicke Scharley Verstärkung, denn die von Pleß haben ihm das
Hinterteil so versohlt, dass nur sechs von seinen Leuten davongekommen sind. Wenn du mit ihnen reitest, verirrst du dich nicht,
und es ist sicherer für dich. Das trifft sich sogar gut, weil
. . .
«
»Weil?«
»Weil noch jemand mit euch reitet.« Bedřich senkte die Stimme. »Eine bestimmte Person. Das ist eine Geheimsache, ich verbiete
dir, irgendjemandem etwas davon zu erzählen. Und es trifft sich gut, weil du diese Person kennst.«
»Ich kenne sie?«
»Du kennst sie. Ich warte gerade
. . .
Ach, da ist er ja.«
Als er sah, wer das Quartier betrat, verschlug es Reynevan vor Erstaunen die Sprache.
Der Faktor des Handelshauses der Fugger zog seinen brokatbestickten Mantel aus und übergab ihn einem Knappen. Die Kleidung,
die er darunter trug, war keineswegs militärisch, sondern entsprach dem, was er für gewöhnlich im Kontor anhatte. Das ausgeschnittene
Wams aus schwarzem Samt reichte bis zu den Hüften, die blau-roten
mi-parti
-Beinlinge lagen eng an und waren mit einem modisch stilvollen, stark wattierten, die Männlichkeit übertrieben hervorhebenden
Keil versehen. Ein solcher Keil, eine modische Neuheit, wurde mit dem französischen Wort
braguette
bezeichnet. Jene von ernsthaftenLeuten als lächerlich empfundene
braguette
war der letzte Schrei unter den Modebewussten und Eleganten.
»Grüß dich.« Der Faktor begrüßte Reynevan mit einer Verbeugung. »Kanonikus Beess hat mich nach dir gefragt. Ich freue mich,
dass ich ihn beruhigen und ihm sagen kann, dass du bei guter Gesundheit bist.«
»Dafür bin ich dankbar.«
»Auch dass dich das Unglück nicht gebrochen hat. Denn es hat dich doch nicht gebrochen, oder?«
»Irgendwie halte ich mich.«
»Es freut mich, das zu hören.« Der Faktor zupfte an seiner Manschette. »Nun, wir haben einen weiten Weg vor uns, wie ich höre,
bis irgendwohin in der Nähe von Ujest. Es wäre gut, wenn wir bis Sonnenuntergang dort wären. Ich schlage vor, wir reiten los,
Reinmar. Wenn du bereit bist.«
»Ich bin bereit.« Reynevan stand auf. »Leb wohl, Bedřich.
»Was heißt leb wohl?« Der Prediger zog die Augenbrauen zusammen.
»Ich wollte sagen: Mach’s gut.«
»Reynevan?«
»Ich bin’s.«
»Ha! Was für ein Zusammentreffen. Gerade habe ich an dich gedacht.«
Scharley präsentierte sich ihm als Soldat und Draufgänger. Über seinem Lederkittel trug er einen Stachelpanzer, eine sogenannte
»Bischofspelerine«, auf der Brust ein eisernes
colnerium
, beide Unterarme schützten Armschienen. An seiner linken Hüfte hing sein Krummsäbel, an seiner rechten Hüfte das Stilett,
und hinter dem breiten Gürtel steckte ein sechseckiger Streitkolben. Er hatte sich einige Tage nicht rasiert; als er Reynevan
umarmte, stach seine Wange wie ein Igel.
»Ich habe an dich gedacht.« Er legte Reynevan die Hände auf die Schultern. »Und weißt du, was ich mir da so gedacht habe?
Dass du ohne jeden Zweifel ein Patentdummkopf bist,denn du hast, kaum von der Krankheit genesen, die ruhige, friedliche Apotheke ›Zum Erzengel‹ verlassen, in die ich dich gebracht
habe. Du hast dich wie der letzte Idiot auf ein Pferd geworfen und bist hierhergekommen. Wann hast du denn wirklich dein Krankenlager
verlassen?«
»Eine Woche nach Fastnacht.«
»Dann bist du noch ein Rekonvaleszent. Du musst dich erholen, langsam wieder zu Kräften kommen, du brauchst keinen Krieg.
Im Krieg bist du in deinem Zustand verloren wie ein Furz im Wind. Du bist immer noch nicht ganz bei Kräften, mein Junge. Juttas
Tod hat dich fast umgebracht, Samsons Tod hat dich fast dein Leben gekostet. Ich habe es selbst kaum ertragen, obwohl ich
ein viel dickeres Fell habe. Aber du
. . .
Warum bist du hergekommen? Willst du mich anwerben für die Rache an Grellenort?«
»Rache bringt Jutta das Leben nicht zurück. Ich vertraue sie Gott an.«
»Warum bist du dann hergekommen? Um für eine Idee zu kämpfen? Für eine neue, bessere Welt? Um dafür zu sterben? Dafür an Durchfall
im Lazarett zu krepieren? Willst du das?«
»Jetzt nicht mehr.« Reynevan senkte den Kopf. »Anfangs schon. Aber inzwischen hat sich meine Begeisterung abgekühlt. Ich habe
vieles überdacht. Ich bin hierher zu dir nur einer Sache wegen gekommen: Ich wollte mich von dir verabschieden. Dich noch
einmal sehen, dich umarmen und dir für alles danken. Zum letzten Mal. Scharley, ich gehe fort.«
Der Demerit
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