Lux perpetua
durch den Wald, dem Lauf der Klodnitz folgend, an deren rechtem Ufer. Zehn Berittene, Reynevan, der Faktor mit
vier Knechten sowie vier bewaffnete Feuerleger als Eskorte. Gegen Mittag bemerkten sie eine große Rauchwolke, die sich im
Norden über der dunklen Wand des Waldes erhob, ungefähr eine halbe Meile entfernt.
»Das ist Scharley«, erriet Reynevan, was nicht sehr schwierig war. »Das andere Objekt. Die
officina ferraria.
In der Ortschaft Rudki, wenn ich mich recht entsinne. Viel Rauch, dann ist auch die Eisenhütte ziemlich groß. Wem gehörte
sie? Ach, stimmt ja, ich hatte es vergessen. Was hab ich schon davon, dies zu wissen.«
»Sie hat uns gehört. Den Fuggern.«
»Wiieee?«
»Das war die Eisenhütte der Fugger.« Der Faktor zuckte mit den Achseln. »Scharley hat gerade das Eigentum des Handelshauses
in Brand gesetzt. Der Krieg trifft alle, Reinmar, alle haben Verluste hinzunehmen. Es würde Verdacht erregen, wenn die Fugger
da die Ausnahme wären. Die Eisenhütte hätten wir ohnehin schließen müssen, sie war nicht rentabel. Du siehst seltsam aus,
Reinmar. Als hätte es dir die Sprache verschlagen. Das ist interessant. Angeblich machst du den Krieg schon fünf Jahre mit.
Und da gibt es immer noch Dinge, die dich überraschen können?«
»Die gibt es immer noch. Aber immer weniger.«
»Aus welchem Grund«, Reynevan riskierte die Frage, »bist du höchstpersönlich hier erschienen? In Wäldern voller Wölfe und
Banditen, inmitten von Krieg und Brand? Risiken, Schwierigkeiten und Unbequemlichkeiten ausgesetzt? Du hast dein luxuriös
augestattetes Kontor verlassen, bist von deinem Schreibtisch aufgestanden, von dem aus du für gewöhnlich die Welt lenkst.
Warum?«
»Hinter dem Schreibtisch verliert man den Kontakt mit dem wirklichen Leben«, entgegnete nach einer Weile der Faktor. »Hinter
Dokumenten hört man leicht auf, die reale Welt zu sehen, hinter Fakturen, Wechseln und Akkreditiven hört man auf, den Menschen
zu sehen. Man verfällt in Routine, und Routine ist eine gefährliche Sache. Darüber hinaus tut es gut, sich von Zeit zu Zeit
ein bisschen aufzuregen. Abenteuer und den Hauch des Risikos zu spüren. Zu spüren, wie einem das Blut rascher durch die Adern
rinnt. Zu spüren, wie
. . .
«
Er konnte den Satz nicht zu Ende bringen. Aus dem Gebüsch drangen Berittene auf sie ein. Einige von ihnen trugen weiße Mäntel.
Mit schwarzen Kreuzen.
Reynevan gelang es gerade noch, die Winde seiner Armbrust zu betätigen, er schoss, ohne zu zielen. Der Bolzen bohrte sich
in den Hals des auf ihn zugaloppierenden Pferdes, das Pferdstieg und stürzte dann zusammen mit seinem Reiter zu Boden. Andere stürmten auf sie zu und begannen auf sie einzustechen.
Neben ihm schwankte ein von einem Schwertstreich getroffener Feuerleger im Sattel. Reynevan gelang es, dessen Streitaxt zu
ergreifen. Mit Schwung schlug er damit auf den Helm eines Angreifers ein und setzte noch einmal nach; bevor die Pferde sie
trennten, sah er noch, wie unter der zerbeulten Hundsgugel Blut hervorströmte. Im selben Moment ergoss sich auch über sein
Gesicht Blut, die Reiter in den weißen Mänteln mit den schwarzen Kreuzen stachen erbarmungslos auf die sich nur unbeholfen
verteidigenden Fugger’schen Knechte ein. Die versehrten Feuerleger stürzten einer nach dem anderen aus dem Sattel zu Boden.
»Lebendig!«, schrie ein Ritter in Rüstung, offensichtlich der Anführer. »Lebendig gefangen nehmen!«
Der Faktor der Fugger wurde vom Pferd gezogen. Zwei Gegner griffen Reynevan an, einer entriss ihm die Streitaxt. Der andere,
ein junger Mann mit weit aufgerissenen Augen, versuchte, ihn mit seinem Schwert aus dem Sattel zu drängen. Reynevan entwand
ihm die Waffe, fasste sie mit beiden Händen an Knauf und Klinge, stieß ihm das Schwert unterhalb des Kragenteils hinein und
spürte, wie sich die Klinge durch die Ösen des Kettenhemdes bohrte. Der Junge schrie auf und krümmte sich. Reynevan spornte
sein Pferd an, aber es war zu spät. Sie hatten ihn bereits umringt und griffen von allen Seiten nach ihm. Einer der Ritter
des Deutschen Ordens missachtete den Befehl, ihn lebendig zu fassen, und wollte ihn in den Hals stechen. Aber er stach nicht
zu. Er schaffte es nicht.
Geschrei erhob sich, der Boden erzitterte unter Hufschlägen. Reiter stürmten in wildem Galopp auf die Lichtung. Feuerleger
mit rauchgeschwärzten Gesichtern, allen voran Scharley mit dem erhobenen Krummsäbel.
Im
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