Lux perpetua
wenig beeindruckend und der kleine Laden wohl nicht allzu
gut besucht. Damals, als sie noch häufigen und lebhaften Kontakt miteinander gepflegt hatten, hatte Achilles Czibulka weder
ein Schild noch einen Laden besessen. Er war bei Herrn Zacharias Voigt, dem Inhaber der renommierten Apotheke »Zum goldenen
Apfel«, beschäftigt gewesen. Wie es den Anschein hatte, ernährte ihn jetzt sein eigenes Geschäft.
»Sie haben dich verflucht«, stellte Achilles Czibulka fest, während er die Büchsen auf die Ladentheke stellte. »Mit einem
Bann haben sie dich belegt. Im Dom. Am Sonntag vor Fasten. Vor drei Wochen.«
Reynevans Bekanntschaft mit Achilles Czibulka hatte im Jahre 1419 ihren Anfang genommen, kurz nachdem Reynevan aus Prag zurückgekehrt
war, als er nach dem Fenstersturz und dem Ausbruch der Revolution sein Studium unterbrochen hatte. Czibulka war seinerzeit
Gehilfe im »Goldenen Apfel« gewesen, ein hochspezialisierter Gehilfe. Er war
unguentarius
, also Spezialist für die Zubereitung von Salben. Fast alles, wasReynevan über Salben wusste, hatte er von Czibulka gelernt. Salben hatten auch schon Achilles’ Vater und Großvater gemischt,
wobei diese beiden in Schweidnitz gewirkt hatten, Achilles war als Erster aus der Familie in Breslau ansässig geworden. Sich
selbst bezeichnete er gerne als »reinrassigen, eingeborenen Schlesier« und tat dies mit einem derart hochfahrenden Stolz,
dass man hätte meinen können, die Urahnen der Czibulkas hätten, mit Fellen bekleidet, schon lange bevor die Zivilisation in
diese Gegend Einzug gehalten hatte, in einer Höhle am Zobten gehaust. Dieser Stolz auf die eigene Herkunft ging aber einher
mit einer manchmal recht unerträglichen Verachtung für jene Völker, die Czibulka als »Zugereiste« bezeichnete – vor allem
die Deutschen. Reynevan hatte sich oft genug über Czibulkas Ansichten entrüstet – heute jedoch erkannte er, dass ihm der Chauvinismus
des Apothekers durchaus gelegen kam.
»Diese verdammten Deutschen haben dich verflucht«, wiederholte Achilles Czibulka wütend. »Du hast doch wohl davon gehört?
Ha, du musst davon gehört haben. Ganz Breslau hat von nichts anderem geredet. Wenn sie dich in der Stadt erkannt hätten
. . .
«
»Es wäre gar nicht gut gewesen, wenn sie mich erkannt hätten.«
»Oh, das wäre es nicht. Aber mach dir keine Sorgen, Reynevan, ich verstecke dich.«
»Du gewährst einem Gebannten Zuflucht?«
»Ich pfeife auf die deutschen Anathemata!«, brauste Achilles auf. »Wir, das heißt die schlesischen
physici
und
pharmaceutici
müssen zusammenhalten, weil wir einer Zunft angehören und eine schlesische Bruderschaft bilden. Einer für alle, alle für einen!
Und alle
contra Teutonicos
, gegen die Deutschen. Das habe ich mir geschworen, nachdem diese Schweine Herrn Voigt zu Tode gemartert haben.«
»Herr Voigt ist tot?«
»Sie haben ihn zu Tode gequält, diese Hundesöhne. WegenZauberei und Teufelsbeschwörung. Da kann man doch nur laut lachen! Herr Zacharias hat zwar ein bisschen die ›Picatrix‹ und
das ›Necronomicon‹, das ›Grand Grimoire‹ und den ›Arbatel‹ studiert, ein wenig Petrus von Abano, Cecco d’Ascoli und Michael
Scotus gelesen
. . .
Aber Zauberei? Was wusste der denn schon von Zauberei? Da bin ja sogar ich besser! Da!«
Achilles Czibulka jonglierte geschickt mit drei Büchsen, warf sie in die Luft, streckte die Arme aus und drehte Hände und
Finger. Die Büchsen fingen von allein an zu kreisen und zu schwirren, immer schneller beschrieben sie Kreise und Ellipsen
in der Luft. Der Apotheker besänftigte sie mit einer Handbewegung und setzte dann alle drei vorsichtig auf der Ladentheke
ab.
»Da!«, sagte er noch einmal »Magie! Levitation, Gravitation! Du selbst, Reynevan, betreibst Levitation, ich habe es gesehen,
damals, als du damit Eindruck auf ein paar Fräulein machen wolltest. Jeder Zweite kennt doch den einen oder anderen Zauberspruch,
trägt ein Amulett oder trinkt ein Elixier. Darf man deswegen Leute hinrichten oder sie auf dem Scheiterhaufen verbrennen?
Darf man nicht. Deswegen pfeife ich auf ihre Bannflüche. Ich gewähre dir Unterschlupf. Hier über der Apotheke ist eine kleine
Kammer, da kannst du wohnen. Lauf nicht in der Stadt herum, sonst erkennen sie dich, und dann wird’s schlimm.«
»Nun verhält es sich aber so«, brummte Reynevan, »dass ich einige Orte aufsuchen muss
. . .
«
»Ich rate dir davon ab.«
»Ich muss. Du hast nicht
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