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Lux perpetua

Titel: Lux perpetua Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Anblick dieser herannahenden kapuzenbedeckten, eisenklirrenden Missgeburt, die unter dem Mantel
     ein teuflisches Licht barg und zu allem Übel auch noch irgendwelche unverständlichen Scheußlichkeiten hervorstotterte, die
     Beine in die Hand.
    Diesmal, als er die »Rote Mühle« und den wallonischen
vicus
um Mitternacht verlassen hatte, schlurfte Pater Felician an den geflochtenen Zäunen entlang, murmelte eine Litanei und blies
     von Zeit zu Zeit in die Lunte, damit sie nicht ausging. Es war Vollmond, und die Wiesen weiß vom Schnee, es war also hell
     genug, dass man munter ausschreiten konnte, ohne Angst, in ein Loch oder eine Kloake zu fallen, was Pater Felician im Herbst
     des letzten Jahres passiert war. Auch das Risiko, auf Räuber oder anderes Gesindel zu stoßen, war geringer, denn diese gingen
     in solch hellen Nächten für gewöhnlich nicht ihrem Geschäft nach. Pater Felician marschierte also immer kecker und schneller
     dahin und summte, statt zu beten, die Melodie eines recht weltlichen Liedchens.
    Lautes Hundegebell kündigte die Nähe der Mühlen und der Mühlengärten an der Ohle an, was bedeutete, dass ihn von der unmittelbar
     in die Stadt führenden Brücke nur noch ganze hundert Schritte trennten. Er ging über den Damm zwischen den Mühlen- und Fischteichen,
     verlangsamte seine Schritte, weil es zwischen den Schuppen und Scheunen immer dunkler wurde. Aber er konnte schon den im Mondlicht
     schimmernden Fluss sehen und seufzte erleichtert auf. Und ging schneller. Reisig raschelte, im Dunkel vor der Scheune tauchte
     ein Schatten auf, eine undeutliche Gestalt. Pater Felicians Herz machte einen Satz und blieb dann fast stehen. Dennoch klemmte
     sich der Altardiener das Schießrohr unter den Arm und legte die glimmende Lunte an. Dunkelheit und mangelnde Kenntnisse bewirkten
     jedoch, dass er sie an seinen eigenen Daumen hielt.
    Er heulte wie ein Wolf, hoppelte wie ein Hase und ließ das Gewehr fallen. Zum Schwert zu greifen, gelang ihm nicht mehr. Er
     erhielt einen Schlag auf den Kopf und rollte in eine Schneewehe. Als man ihn verschnürt durch den Schnee zerrte, war er betäubt
     und kraftlos, aber bei Bewusstsein. Er fiel erst etwas später in Ohnmacht. Vor Schreck.
    Reynevan hatte nicht den geringsten Grund, sich in letzter Zeit über ein Übermaß an Glück und glücklichen Ereignissen beschweren
     zu müssen. Zumindest in dieser Hinsicht wurde er vom Schicksal nicht verwöhnt. Im Gegenteil. Seit Dezember letzten Jahres
     hatte Reynevan entschieden mehr Anlass zu Sorge und Kummer als zu Fröhlichkeit und überschwänglicher Heiterkeit. Mit umso
     größerer Freude begrüßte er daher die Veränderung. Jetzt fing es an, besser zu werden. Das Glück hatte sich plötzlich dazu
     entschieden, ihn zu begünstigen, die Ereignisse begannen, sich auf erfreuliche Weise aneinanderzureihen. Eine sinnvolle Hoffnung
     keimte auf, die Aussichten erschienen in strahlendem Licht, und die Zukunft, sowohl seine wie auch Juttas, leuchtete in lebhafteren,
     dem Auge wohltuenderen Farben. Die deprimierend nackten und hässlichen Bäume an der Breslauer Straße bedeckte, so schien es,
     frisches, grünes Laub, und das Schwemmland, so schien es, bedeckte sich mit duftenden Blüten, selbst das Krächzen der die
     Erdkrume hackenden Krähen verwandelte sich in den süßen Gesang der Singvögel. Kurz, man hätte meinen können, der Lenz wäre
     gekommen.
    Die erste Schwalbe jener berauschenden Veränderung war Wilkosch Lindenau gewesen, jener verwundete Breslauer Soldat, den er
     mit großer Mühe nach Hause gebracht hatte. Der Grund für diese Mühe war natürlich die Verwundung. Die Wunde, obwohl sie versorgt
     wurde, eiterte, der Soldat glühte vor Fieber und zitterte vor Schüttelfrost, wäre Reynevans Hilfe nicht gewesen, er hätte
     sich nicht im Sattel halten können. Wären nicht die Arzneien und die Beschwörungen gewesen, mit denen Reynevan die Entzündung
     gestoppt und den Eiterherd bekämpft hatte, dann hätte Wilkosch Lindenau wohl kaum eine Chance gehabt, die Mauern seiner Vaterstadt
     und die sie überragenden Helme der Türme von St. Elisabeth, Maria Magdalena, Adalbert und der anderen Kirchen wiederzusehen.
     Er hätte wohl kaum eine Chance gehabt, sich darüber freuen zu können, dass das Schweidnitzer Tor schon ganzin der Nähe war. Und er hätte nicht erleichtert aufatmen können.
    »Wir sind zu Hause.« Wilkosch Lindenau atmete erleichtert auf. »Das verdanke ich dir, Reynevan. Wenn du nicht

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