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Lux perpetua

Titel: Lux perpetua Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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sechste April. Im Jahre des Herrn 1434.«
     
    Ofka von Baruth kam mit wippendem Zopf in die Küche gestürzt, beinahe wäre sie auf die Katze getreten. Mit beiden Händen packte
     sie einen riesigen Kessel und schmiss ihn auf den Boden. Sie fegte Schüsseln und Löffel vom Tisch, versetzte dem Abfallkübel
     einen solch heftigen Tritt, dass er bis zum Ofen kollerte. Dann versetzte sie auch dem Kessel einen Tritt, aber der war massiv
     und schwer und gab nicht nach. Ofka schrie auf, fluchte, hüpfte auf einem Bein herum, setzte sich schließlich schwungvoll
     auf die Bank, dabei ihren Fuß haltend, und begann vor Schmerz und Wut zu weinen.
    Die Hausbesorgerin sah ihr zu und verschränkte dabei ihre molligen Arme vor der Brust.
    »Bist du fertig?«, fragte sie sodann. »War das dein ganzer Auftritt? Erfahre ich vielleicht auch einmal, worum es geht?«
    »Dieser Dummkopf!«, brüllte Ofka und fuhr sich mit dem Ärmel über Gesicht und Augen. »Dieser Schlappschwanz! Dieser Rotzbube!«
    »Parzival von Rachenau?«, erriet die Hausbesorgerin, die sich mit derlei auskannte und deren Aufmerksamkeit selten etwas entging.
     »Was ist denn mit ihm? Hat er dir seine Liebe gestanden? Hat er dich endlich um deine Hand gebeten? Oder ganz im Gegenteil?«
    »Ganz im Gegenteil«, schniefte Ofka. »Er kann mich nicht heiraten, sagt er, weil’s ihm der Vater verboten hat. Der Vater befiehlt
     ihm zu heiraten
. . .
aber eine andereeeee
. . .
«
    »Heul nicht herum. Sprich!«
    »Sein Vater will, dass er eine andere heiratet. Parzival will sienicht, er will sie nicht. Aber mich kann er auch nicht heiraten. Er hat mir gesagt, dass er’s nicht kann. Er kann sich dem
     Willen seines Vaters nicht widersetzen. Er geht in ein Kloster. Der Dummkopf.«
    »Was das Kloster anbelangt, stimme ich dir zu.« Die Hausbesorgerin nickte. »In der Hinsicht ist er wirklich ein Dummkopf.
     Aber der Wille des Vaters ist eine heilige Sache. Der kann man sich nicht widersetzen.«
    »Ach, was, man kann wohl!«, zeterte Ofka. »Und wie man kann! Und Wolfram von Pannewitz? Hat der Käthchen Biberstein geheiratet?
     Hat er! Obwohl’s ihm der Vater verboten hat! Es gab eine Vermählung, es gab eine Hochzeitsfeier und alle waren zufrieden,
     sogar der alte Pannewitz. Weil Wolfram Käthchen geliebt hat! Aber er liebt mich niiiiichttt
. . .
uhuhuhu
. . .
«
    »Heul nicht!« Die Hausbesorgerin warf einen Blick zur Tür und vergewisserte sich, dass niemand lauschte. »Noch hat dein Parzival
     die andere nicht zum Altar geführt, es hat noch nicht einmal eine Verlobung gegeben. Da kann noch vieles geschehen. Vieles
     kann das Schicksal bringen. Du musst nämlich wissen
. . .
«
    Ofka wischte sich mit dem Ärmel die Nase ab und riss ihre nussbraunen Augen weit auf.
    »Du musst nämlich wissen«, fuhr die Hausbesorgerin noch leiser fort, »dass es Mittel und Wege gibt
. . .
dem Schicksal ein wenig nachzuhelfen
. . .
Man braucht dazu nur Mut
. . .
«
    »Für ihn«, Ofka biss die Zähne zusammen, »bin ich zu allem bereit.«
     
    Elencia Stietencron zitterte und sprang auf, als sie hörte, wie sich unter jemandes Tritten Steine lösten. Unwillkürlich lehnte
     sie sich an einen trockenen Ast, der mit lautem Knacken brach. Auf das Knacken antwortete vom Weg her ein unterdrückter Schrei.
     Elencia stand wie angewurzelt da, das Herz hämmerte ihr in der Brust wie ein aufgescheuchter Vogel in seinem Käfig.Auf dem schmalen Weg kam eine Gestalt zum Vorschein, und Elencia seufzte erleichtert auf.
    Denn das war kein Räuber, kein Werwolf, keine Hexe und kein schrecklicher Waldschrat, kein grünhäutiger Alb und auch keiner
     von den berüchtigten Wandermönchen, die es nur auf die Ehre von Jungfrauen abgesehen hatten. Die Gestalt war ein Mädchen,
     vielleicht sogar noch etwas jünger als sie selbst. Mit einem blonden Zopf, Sommersprossen und einer Stupsnase. In Männerkleidern,
     und dabei keineswegs ärmlich aussehend.
    »Oje«, sagte das sommersprossige Mädchen, tief aufatmend, als es Elencia sah, »oje, hab ich eine Angst gehabt. Ich war sicher,
     dass es ein Werwolf ist
. . .
Oder ein Wandermönch
. . .
Oje
. . .
Grüß dich, wer immer du bist
. . .
Ich bin
. . .
«
    »Leise«, flüsterte Elencia und wurde blass. »Da kommt jemand
. . .
Ich habe Schritte gehört
. . .
«
    Das sommersprossige Mädchen drehte sich um, kauerte sich hin und tastete nach dem Griff des kleinen Stiletts an ihrem Gürtel.
     Aber ihre Hand zitterte so sehr, dass Elencia glaubte, sie sei nicht in

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