Lux perpetua
Oderwelses
auf sich. Aber der Leichnam war noch zu frisch, als dass er hätte das Fleisch daraus herausreißen können, der an der Leiche
zupfende große Fisch schaffte es lediglich, ihn auf den Rücken zu drehen. Als der Mauerläufer auf die Flussgebiete bei Tschepine
zutrieb, setzten sich die Seeschwalben auf ihn. Hinter Böthen hatte er schon keine Augen mehr, nur zwei blutige Löcher im
Gesicht.
In Pöpelwitz zeigten die Kuhhirten mit den Fingern auf ihn.
Es war schon später Nachmittag, als er auf der Höhe von Kletschkau vorbeitrieb. Zu einem mit Reisigbündeln versehenen Bollwerk
hin.
Auf dem Bollwerk saß ein Fischer mit einem Strohhut, bewaffnet mit einer aus einer Haselrute gefertigten Angel. Eine Zeit
lang betrachtete er die sich in der Rückströmung drehende Wasserleiche. Die schwarzen Haare, die im Wasser wie Anemonen wallten.
Das Vogelgesicht und die Vogelnase
. . .
»Endlich!« Der Fischer sprang auf. »Endlich! Gepriesen seien die Philosophen!«
»Kommst du nun endlich angeschwommen, Birkhart von Grellenort!«, schrie Wendel Domarask, wie ein Verrückter umherspringend
und mit den Händen wie wild herumfuchtelnd. »Lange habe ich gewartet, geduldig, ja, geduldig habe ich am Fluss gewartet! Bis
dich endlich die Oder her zu mir gebracht hat! Und ich dich ansehen kann! Ach, wie freue ich mich, dass ich dich so sehen
kann!«
Der Leichnam stieß vom Bollwerk ab, drehte sich und geriet in die Strömung. Der ehemalige hussitische Spion winkte ihm zum
Abschied hinterher.
»Grüß die Ostsee von mir!«
Und das wäre das Ende meiner Erzählung. Completum est quod dixi de Operatione Solis.
Finis coronat opus.
Ich bin fertig. Und ich habe mich wahrlich abgemüht.
Explicit hoc totum
, und du, liebes Mädchen,
infunde mihi potum!
Schenk ein, schenk ein! Ich trinke noch ein Becherchen Schweidnitzer für den Weg. Oder auch zwei.
Lebt wohl, Ihr edlen und guten Herren. Möge Euch die Vorsehung auf Eurem Weg vor Unglück und bösem Wetter bewahren. Nein,
nein, ich habe gesagt, es ist Schluss. Noch mehr erzählen werde ich nicht. Denn weiter reicht meine Phantasie nicht.
Die Kraft der hohen Phantasie hier spleißt!
Doch folgte schon mein Wunsch und Wille gerne,
So wie ein Rad, das ebenmäßig kreist,
Der Liebe, die bewegt die Sonn und Sterne!
L’amor che move il sole e l’altre stelle . . .
Seltsam, dieser Dante will mir nicht aus dem Kopf
. . .
Schluss mit dem Reden. Obwohl das Schreiben vieler Bücher, wie der Prediger Salomo so klug sagt, kein Ende nimmt, muss es
zu Ende sein.
Es muss.
Für mich wird es Zeit. Es ist ein weiter Weg bis Konstantinopel, und ich möchte noch vor dem Advent die Segel auf dem Marmarameer,
das Goldene Horn und den Bosporus sehen.
Ich will meinen Traum sehen. Bevor ich, ohne wiederzukehren, verschwinde.
Lebt wohl, bei guter Gesundheit. Und zum Abschied
. . .
Wahrlich, ich sage Euch, einem jeden Einzelnen von Euch: Denkt an den Prediger Salomo.
Primo : omnia vanitas
, alles ist eitel.
Secundo
: So du all dies gehört hast, fürchte Gott und halte seine Gebote, denn das macht den Menschen aus!
Denn Gott wird eine jede Sache vor sein Gericht rufen, alles, und wenn’s auch verborgen wäre: Sei es gut oder böse.
Sei es gut oder böse.
Vierundzwanzigstes Kapitel
das ein Anfang ist.
Als Elencia auf dem Hof Hufschlag und Wiehern hörte, war sie sicher, dass Dzierżka früher als beabsichtigt von einem nachbarlichen
Besuch bei den Rachenaus zurückkehrte. Sie trat auf die Schwelle, ohne zuvor ihre Schürze abgenommen zu haben.
Beim Anblick des Reiters überflutete sie eine heiße Welle. Die Beine versagten ihr den Dienst, und ihre Hände begannen zu
zittern.
»Sei gegrüßt«, sagte Reynevan. »Sei gegrüßt, Elencia.«
Elencia war nicht in der Lage, auch nur ein Wort hervorzubringen. Sie senkte nur den Kopf.
Reynevan stieg ab.
Er ging zu ihr hin.
Und umarmte sie.
Mit Macht hielt sie die Tränen zurück.
Nicht ganz und nicht bis zum Ende. Der Himmel im Osten verdunkelte sich, ein Unwetter ankündigend. Aber hier über ihnen, auf
Schalkau, kämpfte sich die Sonne noch durch die Wolken und übergoss die Welt mit einem Lichtstrahl.
Reynevan blickte nach oben.
»Süß ist das Licht«, sagte er, »und die Sonne zu sehen, ist den Augen lieb.«
Sein Gesicht war verändert. Sehr verändert. Er war ein anderer. Elencia stellte es mit einer Mischung aus Angst und Erleichterung
fest.
»Sei gegrüßt
. . .
« Sie räusperte sich
Weitere Kostenlose Bücher