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Luzie & Leander - 04 - Verblüffend stürmisch

Luzie & Leander - 04 - Verblüffend stürmisch

Titel: Luzie & Leander - 04 - Verblüffend stürmisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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ausreden konnte?
    Als ich endlich hinter Suni aus dem Wohnwagen auf den Lagerplatz trat und mich umsah, kiekste ich vor Erstaunen. Mein Mund blieb offen stehen und ich war nicht fähig, mich zu bewegen. Der Anblick, der sich mir bot, überwältigte mich. So etwas hatte ich noch nie zuvor gesehen.
    »Ich muss zu den Musikern, Luzie. Bis gleich!«, rief Suni und winkte mir zu, doch ich erwiderte es nicht. Ich konnte meine Hand nicht heben. Nun wusste ich, woher das Rauschen stammte. Wir waren am Meer. Direkt am Meer!
    Die Abendsonne ließ die Wellenkämme rötlich glitzern, während sie sich langsam dem Strand näherten und dabei in goldenen Schaum verwandelten. Möwen schossen laut geckernd über die Brandung und stahlen sich ab und zu einen Fisch, um mit ihm davonzujagen. Doch das Faszinierendste für mich war das Rauschen. Es gab mir das Gefühl, dass ich alles schaffen konnte, egal, wie schwierig es war. Zum Beispiel meinen Schutzengel aufzuspüren und zu retten. Es war schließlich nicht das erste Mal, dass ich das tun musste. Ich hatte es schon einmal geschafft. Und hier, im Süden, würde mir alles gelingen.
    »Schön, oder?«
    Ich riss meinen Kopf zur Seite und die Ketten um meinen Hals klirrten. Serdan lehnte am Wohnwagen gegenüber. Ich hatte ihn überhaupt nicht bemerkt.
    »Ach du Scheiße …« Das Lachen war schon aus mir herausgeblubbert, bevor ich die Hand vor meinen Mund schlagen konnte. Serdan nahm es gelassen.
    »Besser als die Jogginghose«, brummte er.
    »Ja, natürlich«, pflichtete ich ihm bei, musste aber erneut lachen – nicht wegen des lila-schwarz gestreiften, glänzenden Hemdes, das sie ihm angezogen hatten, und auch nicht wegen seines mühsam gescheitelten Haars und der schmal geschnittenen Stoffhose und der engen Lederschuhe, sondern weil uns in diesem Aufzug wahrhaftig niemand mit den Fotos im Fernsehen in Verbindung bringen konnte. Wir waren frei!
    Allerdings würde ich mich erst restlos frei fühlen, wenn ich diese engen, unbequemen Schnallenschuhe losgeworden war. Ich öffnete die Verschlüsse und schleuderte hüpfend die Sandalen von meinen Füßen, um endlich dem verführerischen Rauschen zu folgen und dem Meer entgegenzustürmen. Ich hätte zu gerne auch den langen Rock ausgezogen, doch dadurch wäre ich sofort in Ungnade gefallen, denn der Unterleib der Frauen galt, wie Suni mir verraten hatte, ebenfalls als unrein.
    Also raffte ich ihn nur mit einer Hand ein paar Zentimeter nach oben, um nicht über seinen Saum zu stolpern, während ich auf die Wellen zurannte, die mir wie friedliche Ungeheuer entgegenrollten, um mich grollend zu begrüßen. Ich jauchzte vor Freude, als das kühle Wasser meine nackten Füße traf, und auf einmal war es mir egal, dass ich meine Beine nicht zeigen durfte – für einen kleinen Flickflack würde man bestimmt nicht ausgestoßen und bestraft werden. Ich nahm Anlauf, stemmte die Hände in den festen, feuchten Grund und wirbelte um meine eigene Achse. Sobald ich wieder in der Senkrechten war und mich ausgelassen im Kreis drehte, erkannte ich auch, woher das Wiehern gekommen war. Eine Gruppe Reiter auf schneeweißen Pferden preschte den Strand entlang. Ich fühlte das Trommeln der Hufe in meinem Bauch – und ja, ich fühlte auch ihr Glück. Ich breitete meine Arme weit aus, als wolle ich die ganze Welt umarmen. Heute Abend würde ich nicht an Leander denken, keine einzige Sekunde lang. Ich würde auch nicht an morgen denken. Ich würde nur leben und da sein. »Frei!«, schrie ich und rannte hopsend zu Serdan zurück.
    »Na, du wilde Hummel? Komm jetzt, die warten bestimmt auf uns. Das Fest beginnt.«
    Gemeinsam liefen wir zurück zu den Manouches und mischten uns unter die Leute. Doch dass mir mein Vorhaben, keinen Gedanken an Leander zu verschwenden, nicht ansatzweise gelingen sollte, stellte ich bereits beim dritten Lied fest, das Sunis Cousins gemeinsam mit den spanischen Gitans anstimmten. Ich fühlte mich immer noch frei und stark und wach, aber meine Kehle wurde dick und mein Herz schwer.
    Die Musik war daran schuld. Sie löste den Weihnachtseffekt aus. Genau, das war der Weihnachtseffekt, denn exakt das Gleiche passierte, wenn an Heiligabend beim Stille Nacht, heilige Nacht die Kerzen an den großen Tannenbäumen neben dem Altar ansprangen und Licht in die kalte Dunkelheit der Kirche brachten. In diesen Augenblicken fiel mir das Schlucken schwer und manchmal stand mir auch das Wasser in den Augen. Es war unmöglich, an den Weihnachtseffekt und

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