Luzie & Leander - 04 - Verblüffend stürmisch
mich an, als hätte ich ihn soeben gebeten, mich zu heiraten. Völlig entsetzt und befremdet zugleich. »Das wüsste ich aber.«
»Kannst du gar nicht wissen«, murrte ich. »Es war übrigens eine Frau.« Das hatte Leander mir verraten. Serdan hatte einen weiblichen Schutzengel gehabt.
»Ah ja.« Serdan lachte, ein kurzes, trockenes Schnauben. »Eh, Katz, das ist doch jetzt wieder eine deiner erfundenen Geschichten …«
»Ja, glaubst du das? Dann pass mal gut auf: Hat sich in den Wochen vor der Klassenfahrt irgendwas verändert in deinem Leben? Hast du dich anders gefühlt? Einsamer vielleicht? Warst du ungeschickter als vorher? Hat etwas gefehlt, ohne dass du genau wusstest, was? Hast du dich öfter mit deinen Eltern gestritten? Ist es ein Zufall, dass du ausgerechnet auf der Burg wieder angefangen hast zu reden? Und zwar in ganzen Sätzen? Na? Denk drüber nach.«
Serdan sagte minutenlang kein Wort. Mit unbewegter Miene schaute er aufs Meer, bis er sich ausführlich räusperte.
»Woher weißt du das alles, Luzie?«, fragte er schließlich und seine Stimme klang brüchig.
»Ich weiß es eben.« Mehr konnte ich ihm dazu nicht sagen.
»Du bist mir unheimlich, Katz. Echt.« Serdan räusperte sich erneut. Ich glaube, er hatte Angst, plötzlich wieder zurück in den Stimmbruch zu rutschen. »Und das soll alles mit Johnny Depp zu tun haben? Nie im Leben.«
»Indirekt. Nur indirekt. Aber es hat damit zu tun. Denn wenn ich morgen nicht nach Le Plan-de-la-Tour fahre, dann wird es mir genauso gehen wie dir. Und ich will das nicht. Noch nicht. Denn bei mir ist es – komplizierter«, sagte ich ausweichend.
Serdan ließ sich auf den Sand sinken und setzte sich in den Schneidersitz. Ich lupfte meinen Rock und tat es ihm gleich. Er dachte lange nach, bevor er wieder zum Reden ansetzte.
»Okay. Du musst Johnny Depp treffen, damit du dich nicht so scheißalleine fühlst wie ich vor der Klassenfahrt? Ist es das?«
Ich antwortete nicht. Wie sollte ich es ihm nur besser erklären? Das ging nicht. Und eigentlich trafen seine Worte den Nagel auf den Kopf, auch wenn er sie völlig falsch interpretierte.
»Was ist mit mir?«, fuhr er fort. »Ändere ich nichts daran, dass du dich allein fühlst?«
»Doch. Aber du wärst jetzt lieber bei Suni, stimmt’s?«, motzte ich.
»Wenn ich lieber bei Suni wäre, würde ich nicht hier sitzen, klar? Weißt du, was sie vorhin zu mir gesagt hat? Morgen ist alles vergessen. Genau so wird es sein. Aber unseren Trip hier durch Frankreich, den werde ich nie vergessen.« Serdan nahm eine Handvoll Sand und ließ ihn langsam durch seine Finger rieseln.
»Du kannst gehen. Ich hab dich lieber bei mir, aber wenn dir das alles zu blöd wird, kannst du aussteigen. Den Rest schaffe ich allein«, sagte ich so selbstsicher wie möglich, obwohl ich nach wie vor nicht wusste, wie ich nach Le Plan-de-la-Tour gelangen sollte. Doch nun war es nicht mehr weit weg. Immerhin war ich in die Nähe gerückt.
»Nee, nee, Katz. Ich hau jetzt nicht ab. Ich will wissen, was du Johnny zu sagen hast, und ich will unbedingt mal einen Filmstar kennenlernen«, widersprach Serdan spöttisch. »Außerdem hat er eine hübsche Frau.«
»Pfff«, machte ich, ein echtes Leander-Gedenk-Pfff, und wir blieben schweigend am Strand sitzen, bis es kühl wurde, die Musik verklungen war und Suni nach uns rief, damit wir in getrennten Betten dem nächsten Tag entgegenschlummerten.
Gruß von Billys Füßen
Mein Herzschlag verdoppelte sich, als ich den Pfiff hörte. Angespannt lauschte ich in die Dunkelheit hinein. Ich hatte keine Minute geschlafen, sondern immerzu versucht, auf die Geräusche von draußen zu achten. Außerdem hatte ich Angst, das Morgengrauen zu verpassen.
Denn Shima hatte mir vor dem Schlafengehen noch einen Rat mit auf den Weg gegeben. Ich war erschrocken wie ein kleines Kind, als sie völlig unerwartet aus dem Schatten von Sunis Wohnwagen getreten war und mich beiseitegenommen hatte. Wenn ich an diese unwirkliche Situation dachte, hatte ich sofort den kalten Rauch aus ihren Kleidern in der Nase und spürte ihre knochigen Finger auf meinem nackten Arm – und ich war ein wenig traurig, weil ich langsam verstand, was es bedeutete, keinem Menschen von diesem Tag bei den Manouches zu erzählen, niemals davon zu sprechen, ja, sogar versuchen zu müssen, ihn auf immer und ewig zu vergessen. Da war es nur ein schwacher Trost, dass Serdan und ich uns wenigstens gemeinsam daran erinnern würden, wenn wir wollten. Jemanden
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