Luzifers Geliebte (Geschichtentrilogie Band 2 Fantastische Geschichten)
mit der Hexe an mir vorüber und auch damals wusste ich: Heute wird etwas geschehen.
Im Gegensatz zu dem vorherigen Tag, zeigte sich der Tag trübe, wie ich mit einem Blick aus dem Fenster feststellte. Regenverhangen und diesig. Keinen Hund würde man bei diesem Wetter auf die Straße jagen. Ich aber ging freiwillig.
Mit einem Satz sprang ich aus dem Bett, wickelte mich in meinen langen, schwarzen Mantel, nahm den schwarzen Schirm aus dem Ständer und verließ eilig die Wohnung.
Ruhelos trieb es mich hinaus in die Riesenstadt, die der Morgen in lange Wolken gehüllt hatte.
Ich spannte den Schirm auf und spazierte trotzig am Spreeufer entlang.
Manchmal blieb ich auf einer Brücke stehen, beugte mich über das niedrige, schmiedeeiserne Geländer und starrte lange in das Wasser.
Es schien, als lägen gespenstische Schleier darüber, gleich herbstlichen Spinnweben. Und die noch nicht ausgeschalteten Straßenlaternen spiegelten sich darin, wie kleine Kobolde.
Ich liebte diese undurchsichtigen Tage.
Diese Grenze zwischen Hell und Dunkel.
Gut und Böse.
Gedeih und Verderb.
Leben und Tod.
Wann würde sie überschritten?
Wann?
Diese Grenze.
Die Grenze zwischen Realität und Wahnsinn.
Vor einem kleinen Laden blieb ich stehen, angezogen von den esoterischen Büchern, Kleidungsstücken, kultischem Kleinkram.
Hinter dem Ladentisch stand unbeweglich eine Frau. Groß und schlank. Lange, schwarze Haare ringelten sich gleich trägen Schlangen auf ihrem Rücken.
Ihre Haut schimmerte wie Elfenbein. Und ihre wohlgeformte Gestalt war für alle sichtbar unter den schwarzen Schleiern.
Unwillkürlich wich ich einen Schritt zurück, blieb dann aber wie erstarrt stehen.
Die Frau hatte lässig einen Arm gehoben, als winke sie mir, einzutreten. Und ich trat ein.
Mit magischer Kraft hatte es mich in diesen Laden gezogen. Als die Türglocke schellte. war ich gefangen. Ein Entrinnen unmöglich.
„Schön, dass du da bist“, sagte die Frau mit dunkler Stimme. „Ich habe lange auf dich gewartet.
„Woher wusstest du, dass ich kommen würde?“
„Hexen riechen sich. Über viele Meilen Entfernung.“ Sie reichte mir ihre Hand. „Ich bin Sandra.“
Was sollte das? Ich eine Hexe?
Nie und nimmer. Ich hielt nichts von Esoterik. Glaubte nicht an Hexerei, Hellsehen, Karten und solchen Quatsch. Nur einmal hatte ich zufällig in einem Handlesebuch geblättert, es auch ganz interessant gefunden und mein neues Wissen spaßeshalber bei meinen Freunden und Kollegen getestet. Doch schon bald langweilte mich dieser Zeitvertreib und ich vergaß ihn wieder.
„Sträub dich nicht“, sagte da Sandra. „Ich weiß, dass du Handlesen kannst. Doch ich kann dir aus der Hand die Zukunft voraus sagen. Bist du bereit?“
Wie unter Zwang hielt ich der Hexe meine Hand hin.
„Du bist der Liebe nicht mehr fähig“, sagte sie kaum hörbar. „Du suchst das Glück im Fleische. Doch da wirst du es nicht finden. Und was das Gefährlichste ist: Du kannst nicht mehr unterscheiden zwischen Realität und Traum. Das Leben ist kein Traum. Lebe es. Versinke nicht in deinen Träumen. Sie gehören in ein anderes Land. In ein Land, zu dem wir keinen Zugang haben.“
„Aber die Wahrheit liegt hinter dem Licht“, sagte ich und dachte im selben Moment: ‘So ein Unsinn. Wahrheit. Nichtwahrheit. Licht.‘
Nie zuvor hatte ich über Wahrheit, Nichtwahrheit, Licht philosophiert. Ich nahm das Leben, wie es kam, ohne viel darüber nachzudenken. Andererseits wusste ich aber auch, dass es Dinge gibt zwischen Himmel und Erde, die wir nicht sehen und anfassen können und akzeptierte das auch. Aber diese Dinge gehörten nicht zu meinem Leben.
Und nun diese Worte, die mir vorkamen, als seien es nicht die meinen.
„Wahrheit. Was ist das?“, erwiderte Sandra leise lachend. „Jeder hat seine eigene Wahrheit.“
„Ich muss sie suchen“, erwiderte ich, nun noch verunsicherter, ob meiner eigenen Worte. „Sie liegt hinter dem Licht“
„Sie ist in dir.“ Sandra senkte ihre Augen tief in die meinen. „Erkenne dich selbst.“
„Du spinnst“, wehrte ich mich. Ich hatte genug von dieser seltsamen Konversation, ich wollte gehen. Mich auf nichts mehr einlassen. „Ich gehe“, sagte ich, während ich versuchte, die Türklinke niederzudrücken.
‚Habe ich etwa Angst vor der Hexe?‘, dachte ich. ‚Der Wahrheit? Meiner Wahrheit? Der Hexe Wahrheit? Dem Licht, hinter dem sie verborgen sein sollte?‘
Ich wusste nicht so recht, was ich denken
Weitere Kostenlose Bücher