Luzifers Hammer
rief er.
Der Cadillac verringerte seine Geschwindigkeit und hielt an.
Harvey rannte auf den Wagen zu.
Es war kaum zu glauben, aber Marie Vance sah aus, wie aus dem Ei gepellt. Sie trug ein Gernreich-Modell, ein einfaches Sommerkleid aus weißem Leinen mit eingewobener Goldborte, goldene Ohrringe und einen Diamantanhänger an einer Goldkette. Ihr dunkles Haar war zwar etwas zerzaust, aber sie trug es wie immer kurz und leicht gewellt. Selbst in diesem Augenblick sah sie so aus, als hätte sie den ganzen Tag im Country Club verbracht und wäre nun auf dem Heimweg, um sich für den Abend umzuziehen.
Harvey schaute sie verwundert an. Sie blickte ihn ruhig an. Bei ihrem Anblick stieg in Harvey die Wut hoch. Er wollte sie anschreien und schütteln. Hatte sie denn nicht begriffen …?
»Wie kommen Sie hierher?« fragte er.
Als sie jetzt zu sprechen begann, schämte sich Harvey vor sich selbst. Sie sprach ruhig, viel zu ruhig. In ihrer Stimme schwang ein Unterton mit, der von einer unnatürlichen Selbstbeherrschung zeugte. »Ich bin über den Bergkamm gefahren. Da standen zwar Autos im Weg, doch einige Leute waren dabei, sie wegzuschieben. Ich fuhr – Harvey, warum wollen Sie wissen, wie ich hierher komme?«
Sie lachte über sich und über die Welt, und sie hatte Angst vor ihrer eigenen Heiterkeit. Er konnte sehen, wie ihr die Angst in die Augen stieg.
Mark kam auf seinem Motorrad herangefahren. Er schaute auf den Cadillac, dann auf Marie. Er pfiff nicht mehr. »Deine Nachbarin?« fragte er.
»Ja. Marie, Sie müssen mitkommen. Sie können nicht daheim bleiben …«
»Ich habe gar nicht vor, zu Hause zu bleiben«, sagte sie. »Ich bin auf der Suche nach meinem Sohn. Und nach Gordie«, setzte sie nach einer kleinen Pause hinzu. Sie schaute auf ihre Goldsandalen hinunter. »Wenn ich was anderes anziehen könnte … Harvey, wo ist …?« Noch bevor sie ihren Satz beenden konnte, bemerkte sie den Schmerz in Harveys starrem Blick. »Loretta?« fragte sie, und ihre Stimme klang leise und fragend.
Harvey erwiderte nichts. Hinter seinem Rücken schüttelte Mark langsam den Kopf. Seine Augen begegneten Maries Blick.
Sie nickte.
Harvey Randall wandte sich ab. Er stand im Regen, wortlos, und sein Blick ging ins Leere.
»Lassen Sie Ihren Caddy stehen und steigen Sie in den Karavan«, sagte Mark. »Nein.« Marie versuchte zu lächeln. »Warten Sie bitte, bis ich mir was anderes zum Anziehen geholt habe. Harvey …«
»Im Moment kann er keine Entscheidungen treffen«, sagte Mark. »Schauen Sie, Kleidung haben wir genug. Wir haben zwar nicht viel zu essen, aber jede Menge Kleidung.«
»Zu Hause habe ich alles, was ich brauche«, sagte Marie resolut. Sie wußte, wie man mit Personal umsprang, ob es sich nun um Gordies oder Harveys Leute handelte. »Und passende Stiefel. Mir paßt nicht so leicht was. Sie können mir nicht weismachen, daß zehn Minuten hin oder her so viel ausmachen.«
»Es wird sicher länger als zehn Minuten dauern, und wir haben keine Zeit zu verlieren«, sagte Mark.
»Natürlich dauert es länger, wenn wir hier herumstehen und quatschen.« Marie startete den Wagen und fuhr langsam an.
»Bitte, warten Sie auf mich«, sagte sie und fuhr Richtung Süden davon. »Himmel noch mal!« sagte Mark. »Harv? Was …?« Er ließ die Frage unvollendet. Harvey Randall war wohl nicht in der Lage, Entscheidungen zu treffen. »Steig in den verdammten Wagen, Harv!« befahl Mark.
Marks resoluter Ton brachte Leben in Mark, und er ging auf den Karavan zu und wollte auf den Fahrersitz. »Joanna!« rief Mark, »Nimm das Motorrad! Ich fahre!« »Wohin …?«
»Zurück zu Harveys Haus, glaube ich. Mensch, ich weiß gar nicht, was wir tun sollen. Ich glaube, wir sollten erst mal losfahren.«
»Wir können nicht einfach abhauen und sie dalassen«, sagte Joanna fest. Sie stieg aus und nahm das Motorrad. Mark zuckte die Achseln und stieg in den Wagen. Er wendete und fuhr dann den Weg zurück, den sie gekommen waren. Als sie die Sackgasse erreichten, erschien Marie Vance an ihrer Vordertür. Sie trug Hosen aus teurem Kunststoff von gutem Schnitt, die sehr widerstandsfähig aussahen. Sie hatte eine Baumwollbluse an und ein wollenes Pendleton-Hemd drübergezogen. Im Augenblick war sie gerade daran, ihre halbhohen Wanderstiefel zuzuschnüren, während ihre Füße in Wollsocken steckten. Neben ihr lag eine zusammengeknüllte Decke.
Joanna hielt mit ihrem Motorrad auf dem Rasen. Mark stieg aus und trat zu ihr. Er schaute Marie an,
Weitere Kostenlose Bücher