Luzifers Hammer
in den Wagen.
Eileen hatte sich aufgesetzt, er reichte ihr die Suppendose.
»Ich glaube, wir sitzen im Auge des Hurricans. Wenn du die Sterne sehen willst, dann mach schnell und komm wieder rein.«
»Nein, danke.«
Die Suppe war kalt und schleimig und löschte ihren Durst nicht. Eileen stellte die Büchse aufs Dach, um Regenwasser einzufangen, dann legten sie sich wieder hin, um den Morgen abzuwarten.
Wieder setzte der Regen kräftig ein. Tim langte durchs Fenster nach der Büchse und stellte fest, daß sie weg war. Er fand die Dose auf dem Boden und füllte sie zweimal mit Regenwasser, das vom Dach strömte.
Stunden später wandelte sich der heftige Regen in ein gleichmäßiges Trommeln. Nun war es Tag geworden, und das graue Dämmerlicht reichte aus, um zu erkennen, daß um sie herum allerhand auf dem Wasser schwamm. Kadaver von Hunden, Kaninchen und Rindern, dazwischen auch Leichen, alles mögliche Holz, Treibholz, Möbel und Hauswände. Tim stieg aus, fischte sich etwas Treibholz und legte es auf den Boden des Wagens vor die Heizung. »Wenn wir jemals ein Obdach finden, können wir immer noch die zweite Suppenbüchse warm machen«, sagte er.
»Gut«, sagte Eileen. Sie saß stocksteif am Steuer. Der Motor sprang an. Tim drängte sie nicht. Er wußte besser, was ihnen bevorstand, und er wußte auch, was es sie kosten würde.
Sie legte den Gang ein.
»Halt!« sagte Tim. Er legte die Hand auf ihre Schulter und zeigte nach draußen. Sie nickte und schaltete auf Leerlauf.
Eine silbergraue Welle rollte auf sie zu. Sie war nicht sehr hoch, und als sie den Wagen erreichte, maß sie höchstens einen halben Meter. Doch der See war über Nacht gestiegen, bis er die Reifen umspülte. Die Welle schlug gegen den Wagen, hob ihn hoch, trug ihn einige Meter weiter und setzte ihn sofort wieder ab, während der Motor immer noch lief.
Eileens Stimme klang erschöpft. »Was war das? Ein neues Erdbeben?«
»Ich würde sagen, daß irgendwo ein Damm gebrochen ist.«
»Ich verstehe. Also weiter nichts.« Sie versuchte zu lachen.
»Der Damm ist gebrochen! Lauft um euer Leben!«
»Die Apachen sind aus Fort Mud ausgebrochen!«
»Was?«
»Ach, nichts. Vergiß es!« sagte Tim. »All dies Wasser hier … es dürfte nicht der erste Damm sein, der gebrochen ist. Vielleicht sind sie alle hin. Vielleicht haben die Ingenieure stellenweise beizeiten den Überlauf geöffnet. Vielleicht. Doch die meisten Dämme sind hin.« Und das heißt, dachte er, daß es stellenweise keinen Strom mehr gab, daß auch die örtliche Stromversorgung unterbrochen war. Er fragte sich, ob die Kraftwerke und Generatoren überdauert hatten. Dämme ließen sich wieder aufbauen.
Eileen legte den Gang ein und fuhr langsam an.
Die Gleise der Southern Pacific brachten sie fast bis nach Porterville. Die Gleise und der Bahndamm stiegen allmählich an, bis sie nicht mehr von Wasser, sondern von Land umgeben waren, das aussah, als wäre es eben erst aus den Tiefen aufgetaucht:
Atlantis wurde wiedergeboren. Eileen hielt sich immer noch an die Gleise, obwohl ihre Schultern durch die Anstrengung verspannt waren.
»Kein Mensch auf den Gleisen, und keine abgestellten Wagen« ,sagte sie. »Wir gehen ihnen aus dem Weg, nicht wahr?«
Doch so ganz wollte es nicht gelingen. Gelegentlich sahen sie versprengte Gruppen von Flüchtlingen, meist Familien, die irgendwo hinstolperten.
»Ich hasse es, sie einfach stehen zu lassen«, sagte Eileen.
»Aber – wen sollen wir mitnehmen? Die ersten, die uns vor den Kühler kommen? Oder sollen wir wählen? Egal, was wir tun, wir hätten im Handumdrehen den Wagen voll, sie würden sogar auf dem Dach hocken, und es kämen immer mehr hinzu …« »Ist schon gut«, sagte Tim. »Wir wissen ohnehin nicht, wo wir hinsollen.« Aber er saß grübelnd da und spürte, was sie empfand. Mit welchem Recht wollten sie von jemand Hilfe erwarten?
Sie halfen ja selbst keinem …
Südlich und östlich von Porterville rollten sie über einen nassen Damm und kamen dann auf die 190. Tim übernahm das Steuer, und Eileen lag auf dem zurückgelehnten Beifahrersitz, ausgepumpt, aber unfähig zu schlafen.
Es sah so aus, als wäre das Land erst kürzlich verwüstet worden. Nach den eingestürzten Gebäuden, den gebrochenen Zäunen und den entwurzelten Bäumen zu schätzen kam Tim immer mehr zu dem Schluß, daß eine Flutwelle aus jener Richtung gekommen sein mußte, in die sie fuhren. Überall lag Schlamm, und Tim hatte so manche Gelegenheit, auf seine
Weitere Kostenlose Bücher