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Lycana

Lycana

Titel: Lycana Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Schweikert
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und die Mahlzeiten, die in den Pubs am Weg geboten wurden, waren auch nicht gerade das, was er an Küchenraffinesse gewohnt war. Ja, die wenigen Stunden, die er sich auf dieser Reise wohlfühlte, waren, wenn er zu Pferd saß und der Kutsche vorausritt - wenn es nicht gerade wieder einmal wie aus Kübeln goss. Und dann riskierte er auch noch, unter die Partisanen zu geraten! Was, wenn sie ausgerechnet aufflogen, während sie sich in ihrer Gesellschaft befanden? Die Engländer verstanden in solchen Dingen keinen Spaß. Bram Stoker fasste sich an die Kehle und lockerte seine Halsbinde ein wenig, die ihm plötzlich zu eng erschien.
    »Was ist mit Ihnen? Darf ich fragen, was Sie bewegt? Sie sehen aus, als sei Ihnen nicht wohl.«
    Wie kann einem in diesem Foltergefährt, das sich Kutsche nennt, wohl sein?, lag ihm auf der Zunge, doch er schluckte die Worte hinunter und betrachtete stattdessen die Lady ihm gegenüber. Ihre große, massige Gestalt thronte aufrecht zwischen den Kissen. Sie konnte sich nicht zwischendurch bei einem Ritt draußen  ein wenig lockern und erholen und saß stattdessen mit stoischem Gleichmut von morgens bis abends in diesem Höllengefährt, ohne zu klagen, ja ohne auch nur erkennen zu lassen, dass diese Fahrt unbequem und anstrengend für sie war. Und dabei war sie eine Dame und noch dazu mehr als zwei Dutzend Jahre älter als er - obwohl sie stets behauptete, erst im Jahr 1826 geboren zu sein, was sein Freund Oscar ihm einmal mit einem verschmitzten Lächeln erzählt hatte. »Daher mache ich mich stets zwei Jahre jünger. Es könnte ja jemand des Rechnens mächtig sein.«
    Bram versuchte unauffällig, seine verkrampften Glieder auszustrecken. »Ich versinke gerade in Selbstmitleid, Lady Wilde, und frage mich, welcher Teufel mich zu dieser Reise überredet hat.« Er sah mit einem schiefen Lächeln zu ihr hinüber. Eine Windböe drückte gegen den Wagen und er hörte den Morast unter den Rädern wie ein gieriges Ungeheuer schmatzen.
    Jane Wilde lächelte zurück. »Wenn Sie über die Situation scherzen können, sind Sie bereits auf dem Weg der Besserung. Eigentlich müsste ich sagen: Schämen Sie sich, Mr Stoker! Sie reisen nach London und Paris und bis in den Süden Italiens, scheuen aber eine Fahrt durch Ihr eigenes Heimatland, weil es zu unbequem ist?«
    »Die Unbequemlichkeit allein schreckt mich nicht, obwohl ich zugeben muss, dass ich lieber zwanzig Meilen im Pferdesattel sitze als eine in diesem Gefährt.«
    »Nun, bei diesem Regen ist es gar nicht so verkehrt, ein Dach über dem Kopf zu haben«, widersprach die Lady und federte elegant eine tiefe Furche ab, die die Kutsche einmal nach links und dann wieder nach rechts warf.
    »Mag sein, aber ich fühle mich hier drinnen so eingesperrt. Für mich ist es das Schlimmste, mich nicht bewegen zu können!« Bram Stoker spürte, wie sein Mund trocken wurde und Panik in ihm aufzusteigen begann. Jane Wilde sah ihn ein wenig irritiert an.
    »Ich war als Kind sehr krank«, erklärte er ihr. »Bis zu meinem  achten Lebensjahr konnte ich weder gehen noch stehen. Niemand gab dem kränklichen Kind, das Tag und Nacht an sein Bett gefesselt war, eine Chance. Selbst die Ärzte hielten meine Genesung für ein Wunder. Ich kam mir damals oft vor wie lebendig begraben, eingeschlossen in einem dunklen Verlies für alle Ewigkeit, während sich draußen vor meinem Fenster im Licht der Sonne das Leben abspielte - ohne mich.«
    Jane Wilde sah ihn aufmerksam an. »Ich verstehe. Oscar hat mir von Ihrer Passion für Tote und Widergänger aller Art erzählt und für Ihre Vorliebe, nachts auf Friedhöfen zu wandeln.«
    »Ja, das Thema lässt mich nicht los. Manches Mal träume ich davon, in einem Sarg unter der Erde zu liegen. Aber ich lebe noch und höre plötzlich ein Kratzen und Scharren, und dann öffnet ein bleiches Weib den Deckel und sieht auf mich herab. Für einen Moment bin ich erleichtert und überglücklich, dass sie mich vor dem sicher geglaubten Tod gerettet hat, doch dann entblößt sie spitze Fangzähne und schlägt sie mir in den Hals, um mir nicht nur mein Blut, sondern auch meine Seele zu rauben. Ich habe Geschichten über solche Wesen gesammelt, und dabei ist mir aufgefallen, dass die meisten der irischen Sagen über Vampire und andere Untote aus dem Westen stammen.«
    Die Lady hob ein wenig die Augenbrauen. »Und um solche Wesen zu finden, fahren Sie mit uns?«
    Er wand sich. »Wie gesagt, es lässt mich seit meiner Kindheit nicht los.«
    »Vielleicht

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