Lycana
berichten würde. Für einige Momente gab er sich der Vorstellung von diesem Gespräch hin, genoss das Erstaunen, das sich in Entsetzen und kurz darauf in Verachtung wandelte. Dann konnte er Baronesse Antonias scharfe Stimme hören und zuckte innerlich zusammen. Nein! Die Vision entglitt ihm und begann, ihn zu peinigen. Er wischte sie weg und konzentrierte sich auf seine Wut, um der Verwirrung zu entgehen. Sie hatten gewagt, die Dracas und die anderen Familien zu täuschen. Ivy hatte es gewagt, ihn zu täuschen!
So hielt er sich ein wenig abseits von den anderen, die sich mitten unter die wie ein Bienenschwarm summenden Erben begaben. Donnchadh sprang auf eine zwei Schritte über dem Grund vorstehende Kalksteinplatte und erhob die Stimme. Sie klang wieder ruhig, souverän, entschlossen, wie die eines Herrschers. Catriona stand stumm am Fuß der Felsen, die Hände in ihren Ärmeln verborgen, den Blick aufmerksam über die Lycana und die Fremden schweifend.
»Wen will sie mit dieser Farce täuschen«, schimpfte Franz Leopold, als sie ihn direkt ansah. Es schauderte ihn. Rasch wandte er sich ab und gesellte sich zu seinem Vetter und seinen Cousinen. Er merkte, wie Ivy ihn beobachtete. Sie strahlte eine ungekannte Traurigkeit aus, aber er beachtete sie nicht weiter.
Endlich rief Donnchadh zum Auf bruch. Die Lycana und die fremden Servienten verteilten sich zwischen den kleinen Gruppen der jungen Vampire, die wie fliehende Schatten dem Tal entgegenliefen. Franz Leopold blieb bei den Dracas, während Ivy und Alisa ihre Schritte Lucianos Geschwindigkeit anpassten.
»Ich dachte, seine Verwandtschaft geht ihm auf die Nerven«, sagte Luciano, als er Franz Leopold ein Stück weiter vorn entdeckte. »Mir jedenfalls würde Anna Christina den letzten Nerv rauben. Dagegen ist Chiara goldrichtig - auch wenn ich ihre Meinung nicht immer teile.«
»Chiara ist ein Goldstück!«, bestätigte Alisa, die stets so etwas wie Neid beim Anblick der unbeschwert fröhlichen Vampirin mit der schon so weiblichen Figur empfand.
Sie folgten der schräg abfallenden Kalksteinplattform ins Tal hinunter. Da Seymour ihnen den bequemsten Weg zwischen den scharfkantigen Furchen suchte, kamen sie gut voran. Ivy war seltsam in sich gekehrt.
»Es kommt mir fast falsch vor, dass Leo nicht in unserer Nähe ist«, sagte Luciano.
»Ja, ich hätte nicht gedacht, dass ich seine fehlende Gesellschaft einmal anders als mit einem Seufzer der Erleichterung kommentieren könnte«, stimmte ihm Alisa zu. »Ich habe mich an ihn gewöhnt, so verrückt das in meinen eigenen Ohren klingt.«
Luciano grinste. »Ja, klar, du brauchst jemand, mit dem du streiten kannst, und Franz Leopold ist dafür zu jeder Nachtstunde gut. Er bringt dein Blut in Wallung!«
»Das ist nicht wahr!«, widersprach sie heftig.
Luciano lachte. »Siehst du, jetzt nimmst du mich schon als Ersatz her, aber ich warne dich, ich kann nicht laufen und mich mit dir geistreich streiten. Beides zugleich ist mir zu viel!«
»Versuche nicht, mich für dumm zu verkaufen. Wir gehen doch ganz langsam. Du bist nur zu faul!«
»Nein, ich streite mich einfach nicht so gern wie Leo«, gab der Römer zurück.
Alisa sah noch einmal zu den Dracas hinüber, die ebenfalls nicht schneller vorankamen, vermutlich weil die beiden Mädchen wieder einmal ihren Protest gegen alles, was die Lycana von ihnen verlangten, bekunden wollten.
»Leo«, sagte sie leise und ließ das Wort in sich klingen. Natürlich verabscheute sie seine Art, und doch gab es eine ihr bisher unbekannte Seite ihres Selbst, die ihn vermisste und wünschte, er würde sich ihnen wieder anschließen. Sie sah Ivy an, die, den Kopf gesenkt, vor sich hin tappte. Ihre Gedanken schienen weit weg zu sein. Als Alisa sie jedoch betrachtete, schien sie es zu spüren und erwiderte ihren Blick.
»Lass ihm Zeit. Wenn er seine Gefühle sortiert hat, wird Leo sich entscheiden.«
»Für was?«
Ivy lächelte etwas kläglich. »Das weiß ich nicht. Es ist nicht einfach für ihn. Lange ist es ihm gelungen, seine Gefühle zu missachten, doch nun ist ihm das nicht länger möglich. Entsetzt muss er feststellen, dass er jenen Freundschaft entgegenbringt, die man ihn doch zu hassen und zu verachten gelehrt hat. Nun muss er sich eingestehen, was er empfindet, und sich dann entscheiden.«
Alisa wiegte den Kopf hin und her. »Ich will dir nicht widersprechen. Du bist diejenige, die in den Gedanken anderer lesen kann, doch schien es mir, als ginge es um Donnchadh und
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