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Lycana

Lycana

Titel: Lycana Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Schweikert
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übernommen, die Kinder aufzuziehen.
    »Ah, die großen Geheimnisse treiben euch wieder in die Nacht hinaus«, sagte sie.
    »Wie kommst du denn auf so was?«, stotterte ihr Vater.
    »Pa, du trägst Stiefel und die lederne Jacke, dein gepackter Rucksack steht hier an der Tür, und mein morgenfauler Bruder Cowan kann es gar nicht erwarten, dir in die finstere Nacht hinaus zu folgen!«
    »Die Fische beißen im Morgengrauen am besten«, wollte ihr Vater sich ein letztes Mal herausreden.
    »Pa, versuche nicht, mich für dumm zu verkaufen!«
    »Wann seid ihr nur so …«
    »… erwachsen geworden?«, ergänzte Nellie, obwohl das vermutlich nicht das Wort war, das ihr Vater gesucht hatte. »Jedes Jahr ein Stückchen mehr!«, sagte sie ernst und tätschelte Myles den Arm. »War das nicht euer Ziel? Dass wir gedeihen und schnell  erwachsen werden? Nun sind wir so weit und können dir mehr Hilfe als Last sein. Freu dich darüber.«
    Myles zog eine Grimasse.
    »Wir sollten aufbrechen«, drängte Cowan. »Geh zurück in dein Bett und genieß deinen Schlaf, Schwesterherz«, sagte er und schulterte den schweren Rucksack des Vaters.
    »Ja, wir sollten gehen. Und ich werde euch begleiten.«
    »Das ist nur was für Männer«, gab ihr Bruder zurück.
    »Ach ja? Und warum ist dann Karen unter ihnen?«
    Vater und Sohn sahen sich erstaunt an. »Woher weißt du das?«, stieß Myles hervor.
    »Ach Pa, ich habe Augen und Ohren im Kopf und einen durchaus scharfen Verstand, der eins und eins zusammenzählen kann - auch wenn ihr Männer das nicht wahrhaben wollt. Wartet, dann ziehe ich mir was Warmes über. Ich brauche nur einen Augenblick.«
    Myles ging mit schweren Schritten auf seine Tochter zu und legte ihr den Arm um die Schulter. »Ich weiß zwar nicht, wie du von diesem Treffen erfahren hast - wir waren immer sehr vorsichtig …« Nellie schnaubte und verdrehte die Augen. »… doch dann weißt du auch, dass dies kein Spiel ist. Es ist sehr gefährlich, und wenn wir entdeckt werden, kann es leicht tödlich enden. Du weißt, die Engländer verstehen keinen Spaß, das hat uns die leidvolle Geschichte unserer Vorfahren gelehrt.«
    »Ich kenne die Geschichte dieses Landes«, sagte Nellie und sah ihren Vater ernst an. »Tante Rosaleen hat mir viel erzählt, über ihren Großonkel, der an Emmets Seite aufgehängt worden ist. Und ich kenne die Geschichte von Robert Emmets Haushälterin, die sie in Dublin eingekerkert und gefoltert haben, obwohl sie selbst niemals eine Waffe erhoben hat! Du siehst, es ist auch für die Frauen gefährlich, wenn sich ihre Männer, Väter oder Brotherren auf dieses Spiel einlassen.« Trotzig hob sie das Kinn. »Und wenn ihr mich schon in Gefahr bringt, dann will ich wenigstens dabei sein und unser Geschick mitbestimmen.« Ihr Vater sah sie noch immer hilflos an.
    »Habt ihr an Brot und Käse gedacht?«, fuhr Nellie eifrig fort. »Und es sollte genug Bier und Whiskey da sein. Die Nächte sind kalt und die Männer werden sich aufwärmen wollen. Was steht ihr da und starrt mich an? Los, packt noch einen Rucksack, während ich mich rasch anziehe.« Nellie lief aus der Kammer.
    »Na ja, so ganz unrecht hat sie nicht«, meinte Cowan. »Vielleicht sollten wir ihr doch erlauben, uns zu begleiten.«
    »Lässt sie mir denn eine Wahl?«, schimpfte Myles. »Wenn ich ihr befehle, hier auf uns zu warten, kannst du darauf wetten, dass sie irgendeine Dummheit anstellt. Dickköpfiges Ding, das sie ist.«
    Cowan grinste und rieb sich den Schädel. »Das trifft wohl auf uns alle zu. Von Ma haben wir das jedenfalls nicht, sagt Rosaleen. Sie sei sehr sanftmütig gewesen.«
    Ein verklärter Ausdruck trat in Myles’ bärtiges Gesicht, das sonst meist schroff oder abgehärmt wirkte. »Ach meine Heather, sie war eine wundervolle Frau. So herzensgut und weich und …«
    Cowan ging hinaus, um noch einen Rucksack mit Essen und Getränken zu packen, wie seine Schwester vorgeschlagen hatte. Er war froh, etwas tun zu können. Wenn der Vater in diese traurige Stimmung geriet, machte ihn das verlegen, und er wusste nicht, was er sagen sollte. Wie konnte er ihn trösten? Schließlich hatte er seine Mutter niemals kennengelernt.
    »Seid ihr bereit?« Nellie erschien fertig angekleidet und mit einem Bündel auf dem Rücken. Ihre Wangen waren gerötet und ihre Augen glänzten vor Aufregung. »Dann lasst uns gehen!«
    Im Schutz der Dunkelheit verließen die drei das Haus am Ufer des Lough Corrib und wanderten auf den Hügel zu, der sich im Westen

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