Lycana
pfählte, wie im tiefsten Mittelalter.«
»Und die Liebe, die dir zum Verhängnis wurde?«, wagte Alisa zu fragen, als sie eine Pause machte und ihre Gedanken wieder davonzugleiten schienen.
»Robert Emmet war sein Name. Er war noch kaum ein Mann zu nennen, als er sich bei den ersten Aufständen dieser Jahre hervortat. Mein Onkel stellte ihn mir vor und ich - nur wenige Jahre jünger als er - war sofort in Liebe entflammt. Doch dann begann General Lake mit seinem Vorstoß und Robert floh mit ein paar Freunden nach Frankreich. Vier Jahre später kehrte er zurück, einen Plan für einen neuen Aufstand im Gepäck. Er wollte Dublin einnehmen, denn nur dann, so sagte er, würde ein erfolgreicher Aufstand auch zur Freiheit Irlands führen. Als ich hörte, dass er wieder im Land sei, setzte ich alles daran, ihm zu begegnen. Ich sagte ihm, dass ich eine Stellung suche, da mein Onkel mich auf seinem Kriegszug nicht mitnehmen wollte, und so wurde ich Haushälterin in seinem Dubliner Stadthaus. Und nicht nur das.« Ein wenig verlegen sah sie zur Seite. »Ich weiß nicht, ob er mich so sehr liebte wie ich ihn. Unsere Zeit war so kurz und oft kam er in der Nacht nur für ein paar Stunden. So blieb uns die Leidenschaft verbotener Nächte, gefolgt von Einsamkeit und Angst, wenn er wieder loszog - die Spitzel der Engländer im Nacken -, um die Vorbereitungen für den Aufstand voranzutreiben. Er war gezwungen, sich zu verstecken, doch ich wusste stets, wo er war, und leitete die an ihn gerichteten Nachrichten weiter.
Ich weiß nicht, wer den Spitzeln den Tipp gab, doch eines Morgens waren sie da, brachen die Tür auf und zerrten mich aus meinem Bett. Sie verbanden mir die Augen und schleiften mich in die Kerkerzelle irgendeines Gefängnisses. Sie wollten wissen, wo sich Robert versteckt hielt, und dazu war ihnen jedes Mittel recht. Oh, ich sage euch, es gibt unendlich viele Methoden, einem Menschen Qualen zu bereiten, und sie waren in ihrer Auswahl sehr großzügig! Es fing mit unendlichen Verhören und Schlägen an und steigerte sich, bis ich dachte, dem Wahnsinn zu verfallen. Aber ich sagte ihnen kein Wort. Ich hatte meiner Liebe Treue bis zum Tod geschworen, und ich war nicht bereit, dieses Versprechen zu brechen.«
»Diese Narben auf deiner Wange sind alt. Stammen sie noch aus der Zeit, als du ein Mensch warst?«, fragte Alisa schüchtern.
Áine strich sich über die haarige Wange und Schläfe, die durch zwei weiße, kahle Striche zerteilt wurden. Sie nickte.
»Ja, das sind zwei der zahlreichen Spuren, die die Folterwerkzeuge der Engländer in meiner Haut zurückgelassen haben. Die Wunden in meiner Seele waren noch tiefer, aber die konnte keiner sehen.
Zwei Jahre haben sie mich gequält. Dann bekamen sie Robert ohne meine Hilfe in die Hände. Ich weiß nicht, war es Zufall oder hat ein anderer seiner Vertrauten sie verraten. Robert führte den Aufstand im Sommer 1803 an - doch er wurde innerhalb weniger Stunden niedergeschlagen. Die Engländer waren gewarnt worden. Robert und viele seiner Kampfgenossen wurden verhaftet. Er wurde mit zwanzig seiner Freunde gehängt, während ich noch immer im Kerker saß. Ich durfte mich nicht einmal von ihm verabschieden. In der Stunde seines Todes nicht bei ihm sein.
Nicht dass er meinen Beistand gebraucht hätte. Er war erst fünfundzwanzig Jahre alt, aber er war ein Held. Als man ihm den Strick um den Hals legte, sprach er: ›Erst wenn mein Land seinen Platz unter den Nationen der Erde einnimmt, erst dann und nur dann lasst mir meine Grabschrift schreiben.‹« Sie schwieg.
»Und wie ging es weiter?«, wollte Luciano wissen. »Bist du im Gefängnis zum Vampir gemacht worden?«
Áine schüttelte den Kopf. »Nein, nachdem Robert tot war und sie ihn irgendwo verscharrt hatten, ließen sie mich gehen, gebrochen, erschöpft und ohne einen Pence. Meine Familie war schon lange tot, mein Onkel nach Australien deportiert worden. Ich war noch jung, aber mein Leben war zu Ende, und so suchte ich den Tod - und fand ein anderes Leben.«
»Doch das ist eine Geschichte für eine andere Nacht«, unterbrach Catriona, die unbemerkt hinter sie getreten war. »Es ist Zeit! Folgt mir hinauf zu euren Särgen.«
Die drei verabschiedeten sich von Áine und stiegen schweigend hinter der Lycana die Wendeltreppe zur oberen Halle hinauf, jeder in seinen eigenen Gedanken gefangen.
Die junge Vampirin ging unruhig im Hof auf und ab. Sie hatte genug Gespräche belauscht, um zu wissen, dass die Burg
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