Lycana
kommend die Berggruppe umschloss. Am Ufer des Lough Inagh hatte Seymour die Fährte verloren und musste eine ganze Weile suchen, ehe er sie am anderen Ufer wieder entdeckte. Die Werwölfe waren durch das flache Wasser gewatet. Sicher nicht aus Zufall. Sie ahnten, dass die Vampire versuchen würden, sie aufzuspüren.
Nun stiegen sie zu einem Ausläufer der Maumturk-Berge auf. Es war inzwischen schon so hell, dass die ersten Menschen vermutlich bereits ihr Tagewerk aufnahmen. Der Himmel im Osten begann, sich rosarot zu verfärben.
Ivy, komm hierher. Hier ist ein Hünengrab. Die Platte ist zwar abgerutscht, doch die Höhlung darunter müsste groß genug sein.
Er spürte ihren Widerstand. Sie hatte die Werwölfe noch immer nicht gesichtet. Wie weit konnte sie noch kommen, ehe die Sonne sie mit ihren Flammenschwertern vom Himmel holte?
Ich fliege nur noch zum Grat hinauf und werfe einen Blick auf die andere Seite.
Nein!
Sie wollte nicht auf ihn hören. Seymour erwog, ihr zu folgen, doch dann würde sie womöglich die Höhlung nicht gleich finden. Die schräge Platte, die nur noch auf zwei ihrer ursprünglichen Stützsteine ruhte und eine nach Norden geöffnete Erdhöhle überdachte, war aus der Luft sicher nicht leicht auszumachen. Nein, es war vernünftiger, wenn er hier auf sie wartete und sie mit seinen Gedanken leitete.
Da sind sie! Sie sind bereits unten im Tal und ziehen nach Osten auf Cong zu.
Ivy! Komm jetzt. Kannst du die Sonne nicht spüren?
Natürlich konnte sie. Ihre Gedanken waren träge geworden, ihre Worte klangen schleppend in seinem Geist, doch er spürte, dass sie sich näherte. Sie hatte der Versuchung widerstanden, sich wie ein Pfeil in die Tiefe zu stürzen. Denn was hätte sie dort tun sollen? Den Werwölfen den Stein entreißen? Nur um dann vor ihren Füßen im Schein der aufgehenden Sonne zu Asche zu verbrennen!
Ich komme!
Das war ihr letzter Gedanke, den er empfing, dann schoss ein Schmerz durch seinen Leib, dass er in Pein auf heulte. Seymour setzte seine Pfoten auf den Stein und reckte die Schnauze in die Luft, obwohl er sich am liebsten in dem dunklen Erdloch zusammengerollt und seiner Pein hingegeben hätte. Er konnte sie in seinem Geist schreien hören - vor Entsetzen und Qual. Seine Augen tasteten den Himmel ab. Dann sah er sie wie eine verglühende Sternschnuppe abstürzen. Sie hatte gerade den Grat wieder überwunden, als der erste Sonnenstrahl ihre Falkengestalt traf und ihr Gefieder in Brand setzte. Er wusste nicht, ob sie sich absichtlich herabfallen ließ, um den sengenden Strahlen zu entgehen, oder ob sie mit dem brennenden Gefieder nicht mehr in der Lage war, sich in der Luft zu halten. Seymour lief los. Er hetzte den Berghang hinauf. Der Schmerz wich einem dumpfen Dröhnen. Ihre Gedanken wirbelten in wirren Fetzen herab. Sie war in den Schatten der Berge eingetaucht, doch ihr Gefieder zog noch immer eine Rauchfahne hinter sich her. Seymour rannte wie noch nie in seinem Leben, doch er konnte sie nicht auffangen. Sie fiel wie ein Stein in ein Gebüsch. Als er sie erreichte, lag sie auf dem Rücken im Gras, die Flügel ausgebreitet, die Augen geschlossen, der Schnabel halb geöffnet. Einer ihrer Flügel war wie ein Ast im Sturmwind abgeknickt, die Federpracht des Falken schwarz verfärbt. Es stank nach verbrannten Federn.
Du dummes, stures Ding, dachte er zärtlich. Der Anblick ihres geschundenen Vogelkörpers war mehr, als er ertragen konnte. So vorsichtig wie möglich nahm er sie ins Maul und trug sie in raschem Lauf den Berg hinunter. Dann bettete er sie in die Erdhöhle und verschloss diese mit zwei kleineren Steinplatten, die er gerade noch bewegen konnte. Nun blieb ihm nichts anderes übrig, als ihre Totenstarre zu bewachen und zu hoffen, dass die natürlichen Dinge ihren Lauf gingen und die Heilung einsetzte. Den Spuren konnte er immer noch folgen, wenn Ivy vollständig wiederhergestellt war.
So saß er auf einem ins Tal hinausragenden Stein und beobachtete das Land unter sich. Endlich, gegen Mittag, nahm er eine Bewegung wahr. Es war Tara auf ihrer weißen Stute mit den beiden Wölfen. Seymour ließ einen klagenden Laut hören. Die beiden Wölfe im Tal antworteten. Die Druidin trieb das Pferd an, doch auf halber Höhe war sie gezwungen, abzusteigen und zu Fuß weiterzugehen.
»Wo ist sie? Was ist mit ihr geschehen?«, fragte sie schon von Weitem. »Mir war, als könne ich Angst und Schmerz spüren.«
Sie wollte nicht von der Spur ablassen, bis es fast zu spät
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