Lycana
ihren Ausflug ein, der ein so unrühmliches Ende gefunden hatte. »Nun sind wir ja alle wieder auf Aughnanure. Wohin sollten wir also gehen?«
»Wenn ich immer im Voraus ahnen könnte, was in euren Köpfen vorgeht, dann wäre meine Aufgabe um vieles leichter«, stöhnte der Servient.
Alisa kicherte. »Dann musst du bei Franz Leopold in die Lehre gehen. Er beherrscht diese widerliche Eigenschaft hervorragend!«
»Und er wird einen Teufel tun, mir etwas davon beizubringen«, knurrte Hindrik empört. »Wenn du nicht ebenfalls davon überzeugt wärst, würdest du jetzt nicht so unverschämt grinsen!«
Alisa legte ihm die Hand auf den Arm. »Geh ruhig. Ich verspreche auch, auf Tammo und Sören ein Auge zu haben.«
»Nicht um sie mache ich mir Sorgen«, brummte der Servient, folgte aber den Lycana und den anderen Unreinen durch das Burgtor hinaus. Alisa sah ihnen nach, bis sie verschwunden waren, dann erst wandte sie sich zu den anderen um.
»Und was machen wir jetzt? Ich habe einen Uhu in die Eibe fliegen sehen. Wollen wir versuchen, ihn zu rufen? Lasst uns nachsehen, ob er noch da ist!«
»Die Eibe steht außerhalb der Mauer«, erinnerte sie Luciano.
Alisa hob die Schultern. »Ja und, diese paar Schritte! Wir gehen ja nicht außer Sichtweite der Burg. Was willst du hier drinnen denn rufen? Ein paar Mäuse vielleicht?«
So suchten sie gemeinsam die Eibe auf, die nicht weit vom Ufer des Drimneen wuchs. Sie umrundeten den mächtigen Stamm und legten den Kopf in den Nacken. Nur Ivy stand ein wenig abseits, Seymour an ihrer Seite.
»Ich sehe ihn nicht«, sagte Luciano. »Ihr etwa?« Alisa und Franz Leopold schüttelten die Köpfe.
»Dann ist er weitergeflogen«, meinte Luciano missmutig.
»Nein, er ist noch da. Ich kann seinen Geist erreichen«, widersprach Ivy. »Soll ich ihn rufen?«
»Nein, lass mich es versuchen.« Alisa sandte ihre Gedanken hinauf ins Geäst. Zu ihrem Erstaunen fand sie noch andere Tiere: ein Eichhörnchen, einige schlafende Singvögel, ja, sie spürte sogar die Kaninchen, die ihren Bau unter den Wurzeln gegraben hatten. Dann tauchte in ihrem Geist das Bild der großen Eule auf, die sie aus orangefarbenen Augen anblinzelte. Ihr wacher Geist sprach von einer weit entwickelten Persönlichkeit, die nicht so leicht gehorchen würde wie eine einfache Fledermaus.
Sollte sie sie bitten und erklären, was sie von ihr wollte, oder einfach nur befehlen? Sie war sich noch unschlüssig, da breitete der Uhu die Schwingen aus und stieß lautlos auf die Vampire herab. Alisa streckte überrascht den Arm aus, aber der Greif glitt über sie hinweg und landete auf Franz Leopolds Schulter. Alisa fuhr herum und funkelte ihn empört an.
»Ich sagte doch, dass ich ihn rufe!«
»Ich habe ja auch eine Ewigkeit gewartet, dass du es hinbekommst. Da sich nichts tat, habe ich mir die Freiheit genommen, dir ein wenig unter die Arme zu greifen.«
Sie knurrte, was sein überlegenes Lächeln nur noch breiter werden ließ. »Du kannst ihn haben, wenn du willst. Los, rufe ihn zu dir. Ich halte ihn nicht auf!«
Zu Alisas Freude schlug der Uhu einmal kräftig mit den Flügeln, kaum dass sie den Ruf an seinen Geist gerichtet hatte, und sprang in einem mächtigen Satz auf den ihm dargebotenen Arm. Alisa strahlte und suchte Ivys Blick, doch die Lycana wirkte seltsam abwesend. Luciano befasste sich derweil mit dem Kaninchenbau und lockte eines der Tiere hervor. Verschlafen rieb es sich über die Augen. Der Uhu blinzelte, drehte einmal den Kopf nach rechts und nach links und stieß sich dann mit seinen kräftigen Klauen ab, um sich auf den Nager zu stürzen. Das verwirrte Kaninchen hatte keine Chance. Die Klauen schlossen sich in seinem Genick. Der Todeskampf währte nicht lange. Luciano war begeistert.
»Seht ihr, ich habe der Eule eine Mahlzeit besorgt. Dafür soll sie irgendetwas für uns tun.«
Der Uhu machte Anstalten, sich mit der Beute auf seinen Baum zurückzuziehen, aber Luciano hielt das tote Kaninchen fest.
»Ja, wir schicken ihn zur Burg. Er soll einmal über dem Hof kreisen, dann wissen wir, was die anderen gerade tun«, stimmte Alisa zu und machte sich sofort daran, dem Uhu den Befehl zu erteilen. Doch ihr Geist war nicht der einzige, der mit dem Greif Kontakt aufnahm. Sie konnte Franz Leopolds Gedanken spüren. Da seine Anweisung jedoch gleich lautete, schien der Uhu sich nicht daran zu stören und flog los. Er schwebte über die Außenmauer, drehte einmal eine Runde über den Hof und die halb eingefallene
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