Lycana
nicht rechnen. Er sieht seine Aufgabe, mich zu beschützen, allzu verbissen.«
»Das kann man sagen«, brummte Franz Leopold, der den Riss in seiner Hose in Augenschein nahm.
Sie brüteten einige Minuten stumm vor sich hin, dann stieß Luciano einen leisen Schrei aus. »Ich habe eine Idee!«
»Na das wird was sein«, wehrte Franz Leopold ab.
»Lass hören!«, forderte ihn Alisa auf.
Luciano senkte die Stimme zu einem Flüstern, sodass sie nah zusammenrücken mussten, um seine Worte zu verstehen.
»Das könnte funktionieren«, sagte Ivy langsam.
»Er wird außer sich sein!«, prophezeite Alisa.
Ivy nickte. »Ja, das wird er. So oder so, egal wie wir es anstellen. Aber es muss sein. Er wird sich schon wieder beruhigen, wenn wir unversehrt und mit der entscheidenden Neuigkeit zurück sind.«
Der große Tag war da. Nellie zitterte vor Aufregung, und es fiel ihr schwer, die Zügel ruhig zu halten. Sie konnte ihr Glück kaum fassen. Sie wusste nicht, warum es ihr gelungen war, ihren Vater zu überreden, sie auf diesen Raubzug mitzunehmen, aber das war nicht wichtig. Wichtig allein war, dass sie auf ihrem Connemarapony saß und mit den Männern nach Galway ritt.
Vielleicht war es ihm bei dem Gedanken, was sie alles anrichten könnte, wenn er sie zwei Tage alleine ließ, so unwohl geworden, dass er sie lieber im Blick behielt. Allerdings hatte Myles seine Tochter schwören lassen, dass sie mit Cowan bei dem Wachposten draußen bleiben würde, während er mit den anderen die Waffen herausholte, und dass sie ihm in allem gehorchte. Da es nicht Mac Gaoth sein würde, der Wache halten musste, hatte Nellie mit dieser Anweisung kein Problem. Cowan allerdings schmollte stumm vor sich hin. Ihm reichte es nicht, die Männer bis zu dem Lager zu begleiten. Er wollte mit anpacken und an vorderster Front dabei sein. Ihr Vater aber blieb hart.
Lautlos wie ein Schatten tauchte Mac Gaoth aus der Dunkelheit auf. Die Pferde wieherten und wichen zurück. Nellie hatte Mühe, ihr Pony zu beruhigen, obwohl es sonst ein sehr sanftes und zuverlässiges Tier war. Aber irgendetwas an Mac Gaoth verunsicherte die Tiere. Er hatte auch gar nicht versucht, eines von ihnen zu besteigen, obwohl ihm Lorcan ein kräftiges Tier zur Verfügung gestellt hätte. Nellie hatte noch nie erlebt, dass die Ponys so auf einen Menschen reagierten. In ihren Augen glänzte Panik, wenn er sich nur auf zehn Schritte näherte. Nellie beugte sich über den Hals ihres Tieres und klopfte ihm das zottige Fell.
»Ihr seid eben schlauer als wir Menschen«, sagte sie leise. »Ihr könnt es wittern, dass mit ihm etwas nicht in Ordnung ist. Auch ich kann es spüren. Wenn ich die Augen schließe, sehe ich keinen Menschen, sondern eine wilde Bestie!«
Sie schauderte und sah auf. Mac Gaoth hatte seine kurze Unterredung mit Myles beendet und stand nun hoch aufgerichtet neben dem Weg, seine seltsam gelblichen Augen auf Nellie gerichtet. Hatte er ihre Worte vernommen? Das war unmöglich. Kein Mensch konnte ein so feines Gehör haben. Dann wandte er sich ab und verschwand wieder in der Dunkelheit, um den Weg auszukundschaften. Der Treck der Ponys zockelte weiter nach Süden. Noch trugen die meisten von ihnen nur die leeren Segeltücher und ein paar Stricke, mit denen die Männer die Waffen verpacken würden. Karren, um die Beute zu transportieren, kamen nicht infrage. Sie hätten auf den breiten Wegen bleiben müssen und wären von etwaigen Verfolgern leicht zu finden. Die Ponys jedoch konnten auch über unwegsames Gelände in die Berge hochsteigen und die tückischen Moore durchqueren, in die sich die englischen Patrouillen nicht wagen würden. Und dann? Was kam danach, wenn sie die Waffen erbeutet und ihre Verfolger abgeschüttelt hatten? Sie würden warten, bis die anderen Gruppen bereit waren, und dann alle gemeinsam zuschlagen. Zuschlagen, sich erheben, sich befreien. Wie harmlos diese Worte klangen, doch mit den Waffen in der Hand würden sie nicht nur drohen. Sie würden töten, wenn es nötig war, und Nellie war nicht so einfältig zu glauben, die Engländer würden einfach so friedlich das Land verlassen. Die Engländer? Waren sie nicht inzwischen alle Engländer? Offiziell ja. Es gab seit fast achtzig Jahren nur noch ein gemeinsames englisches und irisches Königreich, und doch waren und blieben sie Iren und die anderen, die Gegner und Eroberer, Engländer. Nellie stellte sich Lorcan und Fynn mit Gewehren in den Händen vor, und auch Karen. Ja, Karen würde nicht
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