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Lycana

Lycana

Titel: Lycana Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Schweikert
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Vorsicht walten lassen, um sich der Hütte unbemerkt zu nähern. Die Sinne der Menschen waren nur grobe Werkzeuge. Sie waren blind und taub und ihre Instinkte über die Jahrtausende hinweg verkümmert. Wie leicht war es, sie zu überraschen. Böse zu überraschen!
    Einst war ich auch so ahnungslos, dachte sie, wischte die Erinnerungen, die in ihr aufstiegen, jedoch energisch beiseite. Eigentlich hätte sie solche Gefühle gar nicht haben dürfen - wenn man den anderen Vampiren Glauben schenkte. Doch waren sie ehrlich zu ihr? Außerdem hatte sie nicht mit allzu vielen darüber gesprochen. Dies war kein Thema, über das man sich in den Ruhestunden in der Halle unterhielt.
    Áine richtete ihre Aufmerksamkeit auf die Menschen hinter der Tür. Es waren vor allem Männer. Sie konnte ihren schärferen Schweiß riechen. Auch strahlte ihr Blut ein wenig wärmer als das der Frauen. Oder besser gesagt der Frau, denn es war nur eine Erwachsene unter ihnen. Áine spähte durch den Vorhangschlitz. Sie konnte das Gesicht der Frau nicht erkennen, doch so wie die Männer sie behandelten, musste sie sehr hübsch sein. Das zweite weibliche Wesen war ein junges Mädchen. Vierzehn oder fünfzehn, schätzte die Beobachterin. In der schmerzhaften Phase der Wandlung begriffen, nicht mehr Kind und auch noch nicht ganz Frau. Ihr Antlitz war ein offenes Buch rasch wechselnder Emotionen. Sie war ergriffen von der Atmosphäre der Heimlichkeit und der Gefahr. Sie war stolz darauf, dabei zu sein, und auch wütend, dass sie von den Männern nur geduldet, nicht jedoch ernst genommen wurde. Bier durfte sie ihnen bringen, Käse und Speck, aber nicht mit ihnen diskutieren! Eifersucht wallte immer wieder in ihr hoch, auf den Jungen an ihrer Seite, der ihr so verblüffend ähnlich sah und in ihrem Alter sein musste. Es drängte sie danach, etwas Verwegenes zu wagen, und doch war sie schon so weit, dass sie um die Gefahr wusste und das Leid erahnen konnte, das über ihnen allen schwebte. Das machte ihr Angst, aber es gelang ihr, die auf keimende Panik zu unterdrücken.
    Warum nur kam es Áine so vor, als könne sie genau fühlen, was in dem jungen Mädchen vorging?
    »Da ist jemand vor der Tür, der uns belauscht«, flüsterte das Mädchen plötzlich. Die Männer verstummten. Furchtsame Blicke wanderten zum Fenster und zur Tür und dann zu dem Durchgang, der zu einem kleinen Nebenraum führte.
    »Hast du etwas gehört?«, fragte die Frau, die die Männer Karen nannten, und sah sich hektisch um. Nun konnte Áine zum ersten Mal ihr Gesicht sehen. Sie war wirklich sehr schön. So makellos, wie auch sie einst gewesen war. Bevor sie ihr diese Narben zugefügt hatten. Unwillig schüttelte Áine den Kopf und richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf die verschreckte Gruppe Menschen in der Hütte. Die Ausdünstungen der Furcht, die durch alle Ritzen drangen, weckten den Blutdurst in ihr. Sie spürte, wie ihre Eckzähne sich vorschoben, bis sie - spitz und gefährlich scharf - über ihre Lippe ragten.
    »Gehört nicht«, sagte das Mädchen langsam. »Es ist nur so ein Gefühl …«
    »Wenn wir jetzt anfangen, uns nach Nellies Gefühlen zu richten, dann können wir das Ganze gleich sein lassen«, sagte der Junge verächtlich.
    »Cowan, halte den Mund!«, fuhr sie ihn an, senkte dann aber die Stimme. »Ich kann nicht sagen, woher ich es weiß, aber ich  bin mir sicher: Dort draußen ist jemand und belauert uns. Jemand oder etwas …« Ihre zitternde Stimme brach ab. Die Augen weiteten sich und starrten zu dem schmalen Spalt zwischen den Vorhängen, durch den Áine in die Hütte spähte.
    Die Vampirin war sich sicher, dass das Mädchen sie nicht sehen konnte, dennoch wich sie unwillkürlich ein Stück zurück, ohne das ernste Mädchengesicht aus den Augen zu lassen.
    Nellie, dachte sie und betrachtete das Mädchen interessiert.  Bewahre dir dein feines Gespür und lass es dir nicht von den alten, abgestumpften Ignoranten nehmen. Wenn du Gefahr witterst, dann ist sie auch da!
    Es kümmerte Áine nicht, dass die Männer nach Flinten, Spießen und Äxten griffen.
    »Vier zur Hintertür, die anderen mir nach«, befahl einer der Männer. »Cowan und Nellie, ihr rührt euch nicht von der Stelle. Fynn, du bleibst bei ihnen und sorgst dafür, dass ihnen nichts geschieht. Folgt mir!« Er beachtete Cowan nicht, der dagegen protestierte, wie ein Kind behandelt zu werden. Nellie sah mit glasigem Blick zum Fenster.
    »Ihr könnt dieses Wesen nicht fangen«, hauchte sie, doch

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