Lycana
Pfad im Laufschritt auf die Klippe hinauf und dann an ihrer Kante entlang ein Stück nach Osten. Hier, in ein kleines Tal eingetieft, führte er auf eine Hütte zu, die sich kaum von den schwarzen Felsen unterschied, in die ihre Rückwand eingepasst war. Das Dach verschwand nahezu unter einer vorstehenden Felsplatte.
»Jetzt haben wir sie!«, triumphierte Franz Leopold.
»Warte auf uns«, drängte Alisa und beschleunigte ihren Schritt. »Wir wissen nicht, was uns da drin erwartet. Ja, nicht einmal, wie viele es sind. Sie haben bereits bewiesen, dass sie gefährlich sind und vor nichts zurückschrecken!«
»Hast du etwa Angst?«, höhnte er.
»Ich bin nur vorsichtig, das ist alles.«
Franz Leopold spürte, dass sie die Wahrheit sagte. Nur bei Luciano konnte er unter der Aufregung Furcht erkennen. Doch ehe er eine böse Bemerkung machen konnte, stand Ivy neben ihm und legte die Hand auf seinen Arm. Eine Welle der Verstimmung schwappte über ihm zusammen, doch er verdrängte das Gefühl, als Ivy ihn daran gemahnte, was in diesem Augenblick das Wichtigste war.
»Lassen wir unseren Geist vorauseilen«, sagte sie leise. »Kannst du sie spüren?«
Franz Leopold fühlte ihre schlanken Finger auf seiner Haut, und es fiel ihm schwer, sich zu konzentrieren. Vermutlich auch, weil er einen nicht unwesentlichen Teil seiner Kraft brauchte, die Gedanken vor ihr zu verbergen, die sie nicht erfahren sollte. Er mied ihren Blick.
»Es sind keine Menschen in der Hütte«, gab Franz Leopold Auskunft.
»Natürlich nicht«, erwiderte Alisa ungeduldig. »Sie haben die Kisten hierhergetragen, sie abgestellt und sind dann zurückgegangen zu ihrem Boot und davongesegelt. Sonst wäre das Schiff ja noch in der Grotte.«
»Und wenn sie sich getrennt haben, Fräulein Neunmalklug?«, widersprach Franz Leopold.
Alisa klappte den Mund zu. »Nun ja, das wäre möglich«, gab sie widerstrebend zu.
Ivy beendete den Disput. »Ich kann auch keine Menschen wahrnehmen! Bei den Vampiren bin ich mir nicht ganz sicher. Ich wittere sie und doch fehlt die Präsenz. Sollen wir hineingehen? Wenn sie da drin sind, haben sie unsere Anwesenheit vermutlich längst bemerkt.« Ivy sah die anderen fragend an.
Zu ihrer aller Überraschung stellte Luciano sie vor vollendete Tatsachen und stieß die Tür so heftig auf, dass sie mit einem Knall gegen die Wand schlug. Mit einem Sprung waren sie im Innern und sahen sich hastig um.
»Sie sind ausgeflogen«, sprach Alisa das aus, was sie alle mit Augen und Sinnen erfassten.
»Aber sie waren hier.« Ivy deutete auf die fünf Kisten, die an der Wand standen. Rasch versicherte sie sich, dass sie wirklich leer waren. Sie kniete nieder, schloss die Augen und sog den Geruch ein. »Einer kommt mir irgendwie bekannt vor, die anderen sagen mir nichts.« Sie winkte Franz Leopold zu sich und er folgte ihrem Beispiel.
»Und? Was meinst du?«
»Was und? Der Geruch sagt mir nichts.«
Ivy machte ein nachdenkliches Gesicht und sah zu Luciano hinüber. »Hm, wenn du meinst«, murmelte sie ohne rechte Überzeugung.
»Was machen wir jetzt?«, wollte Luciano wissen, der Ivys inneren Kampf anscheinend nicht bemerkte.
»Jetzt eilt ihr zum Unterricht«, erklang eine Stimme von der Tür her. Die vier fuhren herum.
»Hindrik!«, stöhnte Alisa. »Wie kannst du nur stets so entsetzlich wachsam sein.«
Hinter ihm traten Matthias und Francesco ein.
»Uns ist aufgefallen, dass ihr nicht zum Mahl erschienen seid. Da lag der Verdacht nahe, dass ihr den Spuren folgt, obwohl Donnchadh mit seinen Getreuen durchaus in der Lage sein dürfte, die Gefahr ohne eure Hilfe zu beseitigen.«
Alisa warf ihm einen vorwurfsvollen Blick zu, doch Hindrik schüttelte nur den Kopf. »Nein, du musst nichts sagen. Ich weiß, darum geht es nicht, dennoch muss ich euch vier nun zurückschicken. Das Mahl ist beendet und alle Schüler sammeln sich vor dem Torhaus für ihre heutige Lektion. Es wäre nicht gut, wenn ihr fehlt.«
»Das Mahl ist schon zu Ende?«, rief Luciano entsetzt.
»Du meinst, sie könnten uns zurücklassen?«, fragte Alisa nicht minder bestürzt.
Ivy schmunzelte. »Dann lasst uns zurückeilen und den Rest den Männern des Clans überlassen.«
»Uns wird nichts anderes übrig bleiben«, stimmte Franz Leopold enttäuscht zu.
Und so kehrten sie auf dem Pfad am Rand der Klippen zurück, traten durch das Tor der Vorburg und eilten in den Hof, wo sie sich so unauffällig wie möglich unter die anderen Erben mischten.
Es war erst eine
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