Lycana
sagte Luciano und lachte ungläubig.
»Vielleicht kann er das ja auch«, meinte Alisa und sah zu Ivy hinüber, aber die ging nicht darauf ein.
Franz Leopold kam herangeschlendert, zögerte kurz, als er sie sah, und setzte sich dann neben Ivy. Seymour und Luciano warfen ihm missbilligende Blicke zu.
»Ich frage mich, welche Menschen in solch einem Gemäuer gelebt haben«, sagte er mit einem Schaudern. »Sind das die Hallen der berühmten irischen Geschlechter? Wirklich beeindruckend!«
»Ja, dies war eine der Turmburgen eines berühmten Geschlechts im Westen der Insel und eine ganz besondere Frau hat hier im 16. Jahrhundert gelebt. Wenn es euch interessiert, erzähle ich euch von ihr.«
Ivy sah in die Runde. Alisa nickte begeistert, Luciano eher abwesend, und Franz Leopold sagte: »Ja, erzähle! Besser wir lauschen dem Schicksal einer Menschenfrau, als dass wir uns weiter nur der Langeweile dieser tristen Landschaft hingeben.«
Ivy ließ den Blick über die Weite des nächtlichen Meeres schweifen, dann begann sie mit ihrer melodischen Stimme zu erzählen. »Granuaile, deren gälischer Name Gráinne Ní Mháille lautete, war eine Tochter des O’Malley-Clans, dessen Burgen im 16. Jahrhundert rund um die Clew Bay zu finden waren. Sie war zweimal verheiratet und hatte mehrere Liebhaber, doch das soll uns jetzt nicht weiter interessieren. Nach dem Tod ihres ersten Mannes lebte sie in Rockfleet Castle, wenn sie nicht auf See war, und das war sie sicher die meiste Zeit. Granuaile, oder Grace O’Malley, wie man sie auch nennt, hätte gut von ihren Ländereien leben können. Sie war eine Zeitlang Oberhaupt ihres Clans, aber das genügte ihr nicht. Die Handelsbeschränkungen, die die englische Krone Irland auferlegt hatte, waren ihr ein Dorn im Auge. So scharte sie zweihundert Kämpfer um sich. Granuaile besaß eine ganze Flotte an Schiffen und mit dieser ging sie auf Beutezüge. Raubend und plündernd zog sie an der Küste von Schottland entlang und bis in den Süden Irlands. Die Engländer zitterten vor der berüchtigten Piratin Irlands, die noch zu ihren Lebzeiten zur Legende wurde. Auf Clare Island - das war die Insel, die wir am Eingang zur Clew Bay gesehen haben - besaß sie eine Burg mit einer eindrucksvollen Rundumsicht, die jedoch von der See aus nicht entdeckt werden konnte. Sie war eine wagemutige Frau, stolz und erfolgreich, und sie brachte damit nicht nur die Engländer gegen sich auf. Die Kaufleute von Galway forderten ihren Kopf. Und tatsächlich gelang es dem Earl of Desmond, sie bei einem Raubzug auf seinen Besitzungen zu fangen. Zwei Jahre war sie in einem Kerker eingesperrt, dann gelang ihr die Flucht - und sie widmete sich wieder der Freibeuterei. Als dann 1588 die Spanische Armada vor Irland auftauchte, kaperte sie die Schiffe, die sich zu weit von der Hauptstreitmacht entfernt hatten. Überlebende ließ sie grundsätzlich hinrichten. Dann wurde ihr Sohn gefangen und nach England gebracht. Granuaile reiste ihm nach. Fragt mich nicht, wie sie es geschafft hat, eine Audienz bei Königin Elisabeth zu bekommen. Es ist auch nicht überliefert, was zwischen den beiden Frauen geschehen ist. Aber Granuaile kehrte zusammen mit ihrem Sohn nach Irland zurück - und mit einer Leibrente für sich selbst! Gestorben ist sie 1603, im gleichen Jahr wie Königin Elisabeth.«
Die anderen schwiegen, als Ivy geendet hatte. So saßen sie noch eine Weile da, bis Hindrik auftauchte und sie mahnte, dass es Zeit für ihre Särge sei. Die vier erhoben sich und machten sich auf den Weg zum Turm, doch plötzlich blieb Seymour winselnd stehen und starrte aufs Meer hinaus. Sein Schwanz zuckte nervös, die Ohren waren hoch aufgerichtet. Ivy trat neben ihn und legte ihm die Hand auf den Kopf. Auch ihr Blick wanderte hinaus zu dem Schiff, dessen Kiel die glatte Wasserfläche durchschnitt.
»Könnte es nicht nur ein Fischerboot sein? Ein ganz harmloses Fischerboot?«, sagte Franz Leopold leise, als er hinter sie trat.
»Ja, das könnte es«, gab Ivy ebenso leise zurück. »Mein Gefühl sagt mir aber etwas anderes - und Seymour auch.«
»Ach ja, dein so kluger Wolf.« Franz Leopold legte den Kopf schief, als lausche er dem Klang seiner eigenen Worte.
»Außerdem fährt es nicht hinaus, wie es ein Fischerboot um diese Zeit tun müsste. Stattdessen kommt es von der See her in die Bucht.«
»Ah, ein wenig Logik untermauert Gefühl und Instinkt.«
»Du glaubst, dass ich falsch liege? Dass ich überreagiere?« Ihre Stimme verlor
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