Lycana
ein wenig von ihrer üblichen Gelassenheit.
Franz Leopold schüttelte den Kopf. »Nein, das glaube ich nicht. Ich bin ganz deiner Meinung. Dort draußen auf diesem Schiff reisen unsere Verfolger, und uns bleibt im Augenblick nichts anderes übrig, als unsere Särge aufzusuchen.«
»Kein beruhigender Gedanke«, sagte Ivy und drückte Seymour an sich.
Franz Leopold hob den Arm, als wolle er ihn schützend um Ivys Schultern legen. Seymour zeigte die Zähne und so ließ er ihn wieder sinken.
»Auch sie werden während des Tages ruhen müssen«, sagte er stattdessen. »Sieh, ich glaube, sie steuern die Insel an. Bis hierher würden sie es vor Sonnenaufgang auch nicht mehr schaffen.«
Ivy nickte. »Vampire müssen ruhen, ja, aber was ist mit den Menschen? Das letzte Mal waren Menschen an Bord. Glaubst du, sie reisen dieses Mal alleine?«
Franz Leopold zögerte mit seiner Antwort und musste sie dann gar nicht mehr geben. Ein drängendes Räuspern erklang hinter ihm. »Herr, es ist Zeit!«
Betont langsam wandte er sich zu der Stimme um. »Wie gut ist es doch, dass ich dich habe. Nun, da ich dich nicht einmal mehr brauche, um meine Fräcke in Ordnung zu halten, kannst du dich ganz darauf konzentrieren, mich jeden Morgen vor dem Verbrennungstod zu bewahren!«
»Herr, Ihr solltet mir nun zu Eurem Sarg folgen«, sagte der Servient emotionslos. Dafür schwang in Ivys Stimme heller Zorn. »Warum sprichst du so mit ihm?«
Franz Leopold sah sie erstaunt an. »Er ist nur mein Schatten, ein Unreiner, der mir dienen muss und der es gewagt hat, mein Gespräch mit dir zu unterbrechen.«
»Matthias ist ein Vampir, ein Dracas! Er gehört zu deinem Clan, ob er nun reinen Blutes ist oder nicht. Er hat Respekt verdient, wie jeder andere Vampir auch!« Sie wandte sich abrupt ab und stürmte zur Burg zurück, Seymour an ihrer Seite.
»Wenn du jetzt auch nur einen Ton von dir gibst, dann zerfetze ich dir die Kehle und werfe dich über die Mauer in den stinkenden Schlick«, drohte Franz Leopold mit einem tiefen Knurren in der Stimme.
Der Servient verbeugte sich nur stumm und folgte seinem Herrn zum Turm zurück.
Was für eine Nacht! Die ersten Stunden waren Regenschauer aus den dickbauchigen Wolken herabgestürzt, als wollten sie das Moor und alles, was in ihm lebte, ertränken. Gierig saugte der schwarze Boden die Wassermassen auf. Das Riedgras richtete sich nass glänzend den Regentropfen entgegen, fing sie auf und ließ sie an seinen Stängeln herabrinnen. Überall gluckste und plätscherte es. Dann plötzlich versiegte das Nass aus den Wolken, der Wind trieb sie auseinander und jagte sie über den Himmel nach Osten davon. Mondlicht ließ das aufgeweichte Land erstrahlen und badete es in Silber.
Die beiden Wölfe traten unter der mächtigen Deckplatte des Hünengrabes hervor, unter die sie sich beim letzten Regenschauer geflüchtet hatten, um eng aneinandergepresst die Nacht zu genießen. Sie hatten sich in ihre menschlichen Körper verwandelt und sich ihrer Liebe hingegeben, während Regen und Wind ihnen ein Lied sangen.
Nun, nachdem die letzten Tropfen verwehten, war ihnen danach, durch das Moor zu rennen und die Kraft ihrer Wolfskörper zu spüren. Sie liefen los. Es war ein Wirbel des Glücks, der sie den Rausch der Vereinigung noch einmal empfinden ließ. Áine und Peregrine liefen den steilen Hang hinauf, ohne langsamer zu werden. Erst auf dem Grat hielten sie inne, ließen den Blick über das weite Land zu beiden Seiten schweifen und legten dann die Köpfe in den Nacken, um ihrer Freude Ausdruck zu verleihen. Der Klang ihrer Stimmen schwang sich auf und verebbte dann sanft. Sie sahen einander in die Augen. Die seinen waren gelb, wie die der meisten Wölfe. Doch Áines Augen waren auch in ihrer Wolfsgestalt vom tiefen Grün der irischen Weiden.
Plötzlich schwebte von dem Bergrücken im Norden ein Laut zu ihnen herüber, der sie aus dem Zauber ihrer Zweisamkeit riss. Er war fern und nur gedämpft zu hören, aber es war nicht das Echo ihrer eigenen Stimmen. Das was unverkennbar das Heulen von Wölfen - von Werwölfen! Aus dem Süden erklang die Antwort. Peregrine zog die Lefzen hoch. Áine wusste, er war besorgt. Sie konnten es sich nicht erlauben, auf seine Stammesgenossen zu stoßen. Sie selbst fürchtete sich nicht, doch sie wusste, dass er keine Ruhe finden konnte, ehe er sie sicher ins Tal zurückgebracht hatte. Sie leckte ihm über die Schnauze und lief dann in halsbrecherischem Tempo den Berghang hinunter.
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