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Lycana

Lycana

Titel: Lycana Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Schweikert
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würde sich nicht lange dagegen wehren können.
    »Hier ist die Spur wieder«, sagte er mit schleppender Stimme. Er blinzelte träge, als würde ein Gewicht auf seine Lider drücken. Alisa schwankte. Malcolm fing sie auf und zog sie dicht an sich, sodass sie sich gegen seine Brust lehnen konnte. Das war ein schönes Gefühl. Ihr Kopf war so schwer und seine Schulter so einladend. Sein Arm umschlang ihre Taille und gab ihr Halt, während er in der anderen Hand die Lampe balancierte.
    »Es ist nicht mehr weit«, sagte er undeutlich. »Ich weiß jetzt wieder, wo wir sind. Wir müssen da lang.«
    »Schaffen wir es?«, fragte Alisa den Nebel, der sie umhüllte. Nur Malcolms Hand spürte sie ganz deutlich und sein Geruch durchdrang sie wie frisch prickelndes Blut.
    »Ja, wir schaffen es. Lehn dich an mich. Ich führe dich zu deinem Sarg.«
    Es war wirklich nicht mehr weit. Dennoch kam Alisa jeder Schritt wie eine Meile vor. Die Lampe erlosch. Schatten tanzten vor ihren Augen.
    »Eine Fledermaus wäre jetzt nicht verkehrt«, nuschelte sie und versuchte, sich das Tier im Geist vorzustellen. Sie konnte helle Pfiffe hören und die Schwärze schien sich vor ihren Augen zu klären. Ein Windhauch wie von kleinen ledernen Flügeln streifte ihr Gesicht. Dann plötzlich konnte sie einen warmen Schein erkennen und der Gang endete in der domartigen Halle. Seymour kam mit heraushängender Zunge auf sie zugesprungen, Ivy folgte ihm. Sie schob sich zwischen Malcolm und Alisa und packte jeden an einem Arm. Malcolm sank in seine Kiste. »Schade, dass ich dich erst so spät gefunden habe«, hauchte er. Dann fiel er mit geschlossenen Augen zurück. Der Deckel schlug zu. Ivy begleitete Alisa zu der Kiste, die gleich neben ihrer stand.
    »Ist Ireen zurückgekommen?«
    Ivy nickte. »Ja, sie war bereits hier, als wir ankamen. »Wo wart ihr nur so lange?«
    »Irgendwo in den Gängen dort draußen«, gähnte Alisa und ließ sich zurückgleiten. Der Deckel schloss sich, und die beruhigende Dunkelheit hüllte sie ein, während draußen die Sonne das Land mit ihrem Morgenlicht überflutete.
    Ein letzter Gedanke huschte durch Alisas Sinn. Wie war es Anna Christina gelungen, sich ohne eine Lampe so weit von der großen Höhle zu entfernen? Außer Franz Leopold hatten sich die Dracas bisher geweigert, ernsthaft an den Übungen teilzunehmen. Ihre Leistungen waren noch schlechter als die der Nosferas,  die sich wenigstens bemühten. Wenn es nicht einmal Alisa oder Franz Leopold gelungen war, sich alleine einer Fledermaus zu bedienen, hatte Anna Christina es ganz sicher nicht geschafft. Konnte sie sich durch dieses Labyrinth getastet haben? Oder war jemand bei ihr gewesen, der ihr geholfen hatte? Wenn ja, warum hatten sie seine Spur dann nicht bemerkt?
    Die Totenstarre holte sie, ehe Alisa noch weiter darüber nachgrübeln konnte.
     
    »Die Herrschaften wollen verreisen?«, fragte der Gast, als der Butler ihn mit einer höflichen Verbeugung in die Halle bat, in der sich einige Koffer und Hutschachteln stapelten. Der Butler nickte.
    »Ja, soweit ich informiert bin, soll die Kutsche in zwei Stunden eintreffen.«
    Dass der Butler nichts über Zweck und Reiseziel seiner Herrschaft verlautbaren würde, war dem Besucher klar, denn dies machte den Wert eines guten Butlers aus. So musste er sich mit seiner Frage gedulden, bis der Butler ihn in das Frühstückszimmer geführt hatte, in dem die Hausherrin und ihr Sohn bei einem verspäteten Frühmahl saßen. Das prächtige georgianische Haus am Merrion Square gehörte zu den ersten Adressen Dublins. Der Gast trat auf die ältere Dame zu und beugte sich galant über die ihm entgegengestreckte Hand.
    »Lady Wilde, es ist mir ein Vergnügen.« Sie lächelte huldvoll. Selbst im Sitzen war sie eine eindrucksvolle Erscheinung mit ihrer ausgefallenen Garderobe und dem auffälligem Schmuck. Wenn sie sich allerdings zu ihren vollen ein Meter und achtzig erhob - meist noch von einem extravaganten Kopfputz gekrönt -, beherrschte sie jede Gesellschaft. Ob dies ihren verstorbenen Gatten mit seiner gerade einmal mittelgroßen Gestalt gekränkt hatte, wusste der Besucher nicht.
    »Bram Stoker, wie schön, Sie wiederzusehen«, sagte die Lady mit ihrer tiefen, wohlklingenden Stimme. »Setzen Sie sich. Charles  wird noch ein Gedeck auftragen. Wie geht es der bezaubernden Florence?«
    Bram Stoker bedankte sich und wechselte hastig das Thema. Er wusste, dass ihm Lady Wilde ein wenig zürnte, weil ihm die von ihrem Sohn ebenfalls

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