Lycana
reiten. Ich frage mich, warum er mir keinen Falken geschickt hat.« Damit drückte sie dem Pferd die Fersen in die Flanken, dass es über die Mauer zurücksprang und über die Weide davonjagte. Der Adler flog über ihnen und bald waren sie den Blicken des Dichters entschwunden.
»Vielleicht ist diese Geschichte wert, ihren Verlauf mit eigenen Augen zu betrachten«, murmelte der filí nachdenklich und nickte dann. Mit einem Fingerschnippen rief er den Nebel zu sich und nur Augenblicke später schoss ein Baumfalke der Reiterin hinterher.
Die vier jungen Vampire sahen einander an. »Deine Cousine? Wie sollte sie hierherkommen?«, wollte Luciano wissen. »Das ist unmöglich!«
»Es ist nicht unmöglich!«, stellte Ivy fest, die Seymour um eine breite Säule herum gefolgt war. Die anderen drei eilten zu ihr. Die beiden Fledermäuse umkreisten die Gestalt, die mit angezogenen Beinen auf einem Steinblock hockte, die Knie mit beiden Armen umschlungen. Das Bild, das die Echosignale formten, war nicht so scharf, als dass man die Gesichtszüge hätte ausmachen können, aber das mussten sie auch nicht. Sie konnten ganz eindeutig Anna Christinas Geruch erkennen. Die Vampirin stieß einen Schrei aus und schlug nach den beiden Fledermäusen, die sie immer enger umkreisten.
»Weg mit euch. Ich habe euch nicht gerufen.«
Ivy zog die Lampe aus ihrer Tasche, wickelte sie aus dem Öltuch und entzündete den Docht. Im trüben Schein starrten sie die Dracas an, die ihrem erstaunten Blick mit Hochmut begegnete.
»Was ist? Was glotzt ihr mich so an? Verschwindet, ich habe euch nicht hergebeten!«
»Was tust du hier?«, platzte Alisa heraus. »Mit wem hast du dich getroffen?«
»Hast du den Verstand verloren? Ich bin den unerträglichen Lycana und dem Gewürm entflohen, das sie stolz die Erben nennen!«
Franz Leopold trat mit zwei schnellen Schritten zu ihr und packte ihr Handgelenk, dass sie vor Schreck und Schmerz aufschrie. »Ich glaube dir nicht. Du willst mir einreden, du bist durch einen wassergefüllten Gang gekrochen, nur um nicht mit den anderen zusammen in einer Höhle sein zu müssen? Für wie dumm hältst du mich? Also sag: Mit wem hast du dich hier getroffen? Ist er durch das Loch dort oben gekommen?«
Anna Christina starrte verwirrt zu dem Loch hinauf. Entweder war sie eine gute Schauspielerin, oder sie wusste wirklich nicht, wovon Franz Leopold sprach.
Er ergriff sie bei den Schultern und schüttelte sie. »Lüg mich nicht an! Das ist kein Spiel, falls du es noch nicht begriffen hast.«
Er ließ erst von ihr ab, als Ivy ihm die Hand auf den Arm legte. »Sie ist nicht durch das Wasser getaucht«, sagte sie bestimmt und deutete auf den Saum von Anna Christinas Gewand, der sich vor Nässe dunkel verfärbt hatte. Der Rest aber schien trocken.
»Das ist kein Beweis«, widersprach Franz Leopold. »Unsere Kleider sind auch schon fast wieder getrocknet.«
»Nicht aber unser Haar«, sagte Ivy. Franz Leopold fuhr trotz ihres Protests in die dunklen Locken seiner Cousine und musste widerstrebend zugeben, dass sie trocken waren.
»Wie bist du hierhergekommen, wenn nicht durchs Wasser?«
»Durch irgendwelche Gänge halt«, fuhr sie ihn patzig an. »Soll ich einen Plan zeichnen oder was?«
»Das wäre durchaus hilfreich«, sagte Luciano und erntete einen verächtlichen Blick.
»Wir werden den Weg schon finden, solange deine Spur frisch ist«, sagte Ivy.
»Zumindest wenn sie nicht ständig durch Wasser gewatet ist«, wandte Alisa ein.
»Ja, geht und sucht meine Spuren, aber lasst mich nun endlich wieder in Ruhe«, fauchte Anna Christina.
»Du solltest mit uns zurückkommen«, schlug Ivy in freundlichem Ton vor. »Es ist schon spät. Seht hinauf, der Himmel hellt sich auf.«
»Ich gehe, wann ich will«, schimpfte die Dracas, erhob sich aber und folgte den anderen. Bis zu dem Wasserloch, aus dem sie gestiegen waren, konnten sie Anna Christinas Spur nicht ausmachen, doch dann wurde der Grund trockener und ihr Duft stieg noch immer von den Steinen auf, die sie berührt hatte.
»Dann sind wir also völlig umsonst durch dieses Wasserloch gekrochen«, meinte Luciano missmutig.
»Nicht nur wir«, vermutete Franz Leopold, doch die anderen gingen nicht darauf ein. Aus einem Seitengang drang ein Geräusch, das wie eine Stimme klang. Sie verstummten und lauschten. Ein Poltern, als sei etwas gegen einen Felsblock gestoßen, und dann ein englischer Fluch.
»Ist das nicht Malcolms Stimme?« Alisa nahm Ivy die Lampe aus der
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