Lydia Strong 01 - Im Herzen die Sünde
auf Leben und Tod stattgefunden, und die Leiche wurde weggeschafft.«
»Aber in den anderen Fällen gab es keinerlei Hinweise auf einen Kampf oder ein Tötungsdelikt.«
»Was bedeutet, dass der Täter diesmal die Kontrolle über die Situation verloren hat. Wenn man die Leiche der Frau in der Wohnung gefunden hätte, würde ich nicht an einen Zusammenhang glauben. Aber der Täter hat die Leiche mitgenommen. Wozu? Wer ein Verbrechen vertuschen will, reinigt den Tatort … oder macht wenigstens die Tür hinter sich zu. Aber dieser Täter wollte die Leiche mitnehmen. Das ist auffällig. Er hat einen Plan. Bei den anderen Opfern hat er einfach nur sauberer gearbeitet.«
Lydia und Jeffrey saßen am Küchentisch, die Zeitung zwischen sich. Sie beugte sich vor und sah ihn erwartungsvoll an. Ihre Argumente klangen überzeugend, das musste er zugeben.
»Also schön, ich werde mit Morrow reden. Vielleicht sitzt er auf genau den Informationen, die wir brauchen.«
»Allein?«
»Ich glaube, es wäre das Beste.«
»Unsinn, Jeffrey. Ich habe dich nicht nach New Mexico eingeladen, um den tapferen Retter zu spielen. Ich will dabei sein.«
»Bist du doch. Ich glaube nur, dass Morrow sich zu einer Zusammenarbeit eher bereit erklärt, wenn du dich zurückhältst.«
»Warum?«
»Weil ihr eine unglückliche Vorgeschichte habt. Außerdem hast du so eine Art, die Leute in die Ecke zu drängen.«
»In die Ecke gedrängt fühlen sich nur Leute, die etwas zu verbergen haben.«
»Ach komm, Lydia, mich kannst du nicht mit deinem Charme einwickeln«, sagte Jeffrey und lächelte sarkastisch. Er wollte ihre Hand ergreifen, doch Lydia zog den Arm weg. Am liebsten hätte sie Jeffrey vors Schienbein getreten, aber sie wusste, dass er Recht hatte.
Sie verschränkte die Arme vor der Brust und funkelte ihn böse an.
»Na schön. Aber du musst mir alles berichten. Alles bis ins letzte Detail!«
»Das verspreche ich. Hast du die Story schon irgendwem angeboten?«
»Nein.«
»Warum dann die Eile? So habe ich dich noch nie erlebt.«
»Ich will einfach wissen, was diesen Menschen zugestoßen ist.« Lydia wandte sich ab und starrte aus dem Fenster.
Jeffrey streckte die Hand aus.
»Danach machen wir alles zusammen, okay? Aber lass mich allein hingehen.«
»Okay«, sagte sie und schlug mürrisch ein.
Jeffrey drückte ihre Hand, stand auf und räumte die Teller ab. Zum Frühstücken blieb jetzt keine Zeit mehr.
»Lass nur, ich erledige das«, sagte Lydia. »Fahr du zu Morrow.«
Jeffrey stellte die Teller in die Spüle.
»Sei mir nicht böse«, sagte er über die Schulter und verschwand, ohne eine Antwort abzuwarten.
Lydia schnappte sich ein Kissen von der Sitzecke und warf es nach ihm. Es verfehlte ihn knapp und landete auf den italienischen Bodenfliesen.
Lydia seufzte. Der Gedanke, untätig herumzusitzen und auf Jeffreys Rückkehr zu warten, war ihr unerträglich. Schon jetzt langweilte sie sich zu Tode. Sie musste sich ablenken.
Sie ging ins Schlafzimmer, band sich das Haar zu einem Pferdeschwanz zurück, schlüpfte in kurze Shorts und ein altes T-Shirt, dessen Saum sie in ihren Jogging-BH stopfte. An der Tür stieg sie in ihre Laufschuhe, und im nächsten Moment lief sie die Einfahrt hinunter zur Straße.
Jeffrey stand im Obergeschoss am Fenster und sah ihr nach. Er konnte es nicht leiden, wenn sie das Haus verließ, ohne sich zu verabschieden. Manchmal wirkte sie so abwesend. Als sie davontrabte, hätte er am liebsten das Fenster aufgerissen, um sie zurückzurufen. Aber das ging nicht – jetzt nicht und auch nicht in Zukunft. Er musste weiter darauf hoffen, dass sie aus freien Stücken zu ihm kam. Er sah ihr nach, bis sie außer Sichtweite war.
Sie zählte die Schritte pro Atemzug. Ihre Knie schmerzten, außerdem war das Laufen eine Quälerei, weil sie so viel rauchte wie seit Monaten nicht; dennoch fühlte sie sich befreit. Sie hielt sich aufrecht und versuchte, die Schultern zu ent- und die Bauchmuskeln anzuspannen und die Füße bei jedem Schritt abzurollen. Endlich brauchte sie nicht mehr zu denken. Sie konzentrierte sich einzig und allein auf den nächsten Schritt. Bald würden alle Sorgen nichtig erscheinen. Bald war sie eins mit der Anstrengung und spürte den Schmerz in den Gelenken und der Lunge nicht mehr. Sie empfand wie immer ein masochistisches Vergnügen, aber anscheinend rannte sie heute nicht schnell genug, um ihre Gedanken zum Schweigen zu bringen und ihre hochkochenden Gefühle abzukühlen.
Sie war wütend,
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