Lydia Strong 01 - Im Herzen die Sünde
brachte Jeffrey dazu, eine Hand an seine Waffe zu legen.
Lydia schob sich an den Polizisten vorbei, die Kissen umdrehten und Schubladen aufzogen, und setzte sich auf Bennys Bett mit der Star-Wars-Bettwäsche. Er wohnte in einem Kinderzimmer – Regale voller Spielzeug, an der Wand Poster von den Power Rangern, ein ausrangierter Computer auf dem blau gestrichenen Schreibtisch. Der Papierkorb hatte die Form eines Footballs. Im Korbsessel am Fenster saß ein großer Eisbär aus Plüsch. Auf Bennys Nachttisch lag ein Fotoalbum mit farbenfrohen Blumenbildern. Lydia blätterte darin herum und fragte sich, wann Benny wieder vernehmungsfähig sein würde.
»Blumen gehören in die Erde«, hatte er gesagt. Wie hatte er das gemeint? Lydia hatte bei dem Satz eine Gänsehaut bekommen. »Ich mag Blumen. Die tun nie was Böses. Die sind immer ganz still.«
»Blumen tun nichts Böses, aber Menschen schon, nicht wahr, Benny?«, flüsterte sie. Sie klappte das Buch zu, stand mit einem Ruck auf und lief die Treppe hinunter.
»Jeffrey«, rief sie, sobald sie zur Tür hinaus war. Dann ging sie zu Bennys Blumenbeet und steckte ihre Stiefelspitze in die Erde. Blumen gehören in die Erde. Aber Menschen nicht, richtig, Benny? Jeffrey stand hinter ihr.
»Was ist denn?«, fragte er.
»Wir müssen den Garten umgraben lassen«, sagte sie.
Lydia wollte es Greg persönlich sagen. Er sollte die Nachricht von jemandem hören, der genau wie er den wichtigsten Menschen verloren hatte. Sie wollte nicht allein dorthin, aber als Jeffrey sich anbot, sie zu Gregs Werkstatt zu begleiten, hatte sie instinktiv abgelehnt.
»Ich schaffe das«, hatte sie gesagt.
»Das weiß ich«, antwortete er, »aber wir sind ein Team, Lydia. Von nun an sollten wir zusammenhalten, wenn es brenzlig wird.«
Zu seiner Überraschung gab sie nach. »Darf ich fahren?«, fragte er lächelnd.
»Treib es nicht zu weit«, sagte sie, stieg jedoch auf der Beifahrerseite ein.
»Wow, das ist ja wie bei der Widerspenstigen Zähmung !«
Sie boxte ihn in den Oberarm.
Sie beobachteten, wie die Überreste von Shawnas Leiche in den Krankenwagen geschoben wurden. Der Mörder hatte sie ohne Leichensack vergraben, er hatte sie so, wie sie war, unter dem violetten Rittersporn in Bennys hübschem Vorgarten verscharrt. Der Gedanke, dass manche Menschen keine Chance bekamen, glücklich zu sein, machte Lydia wütend. Diese bescheuerten Psychoheinis, die davon faselten, ein jeder sei für sein Glück und seine positiven Energien selbst verantwortlich, hatten von Menschen wie Shawna Fox eine Scheißahnung. Eine der gesichtslosen Psychologinnen, die Lydia nach dem Tod ihrer Mutter aufgesucht hatte, hatte ihr vorgeworfen, sich im Leid zu suhlen und sich das Leben durch negatives Denken unnötig schwerzumachen. »Vielleicht haben Sie Recht«, hatte Lydia gesagt. »Aber sagen Sie mir, wie es Ihnen geht, wenn man Ihnen das Herz rausschneidet und anschließend von Ihnen erwartet, einfach weiterzuleben. Dann können Sie mir ja vielleicht auch sagen, wie man mit dem Suhlen aufhört.« Die Ironie der Geschichte wurde ihr erst jetzt klar, als sie und Jeffrey auf dem Weg zu Gregs Werkstatt waren, um ihm von dem Leichenfund zu berichten.
»Oh mein Gott«, sagte Lydia.
»Was ist denn?«
»Gerade eben ist es mir eingefallen. Wenn man einen geliebten Menschen verliert, fühlt man sich, als wäre einem das Herz herausgerissen worden.«
»Okay …«, sagte Jeffrey zögerlich. Er wusste nicht, worauf sie hinauswollte.
»Weißt du noch? Wir haben uns doch gefragt, was es bedeuten könnte, sein Herz zu verlieren.«
»Ja. Du willst also sagen, der Mörder hat einen wichtigen Menschen verloren?«
»Genau. Und deswegen will er Rache.«
»Rache? An wem?«
Lydia erinnerte sich an ihre erste Unterhaltung mit Juno. Er hatte gesagt: »Viele Leute glauben, ich besäße Heilkräfte. Viele andere bestreiten es – mit aller Vehemenz. Die Leute haben sich der Kirche und mir gegenüber schon mehr als einmal schändlich verhalten. Möge Gott ihnen vergeben.«
»Was, wenn Juno versucht hat, jemanden zu heilen … und gescheitert ist?«
Als Juno am nächsten Morgen aufwachte, wusste er sofort, dass etwas nicht stimmte. Er lag im Bett und lauschte. Es war die Stille vor dem Schrei; es war, als hielte die Kirche den Atem an. Er wollte sich rühren, denn er wusste: Sobald seine Füße den kalten Boden berührten, war nichts mehr so wie früher.
Als er seinen morgendlichen Verrichtungen nachging, übermannten ihn
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