LYING GAME Und raus bist du
Busspuren verwaist und die Jungs aus der Fußballmannschaft, die vor und nach der Schule trainierten, galoppierten immer noch über das Spielfeld. Die Mädchen packten Emmas Arme, zogen sie über den Schulhof und bugsierten sie durch einen Seiteneingang. Die Flure waren leer. Plakate für die Wahl des Schulrats flatterten im Luftzug der Klimaanlage. Auf den Böden glänzten feuchte Kreise, die der Mopp des Hausmeisters hinterlassen hatte.
Auch der Umkleideraum war verwaist und roch nach einer Mischung aus pudrigem Deodorant und Chlorreiniger. Jede Mannschaft hatte ihren eigenen breiten Gang, und die Mädchen behielten über Jahre hinweg die gleichen Spinde – Emma hatte Suttons Tennis-Spind am Montag nach dem Training geöffnet und drinnen noch ein paar Sachen gefunden, unter anderem auch eine glänzende Nylonjacke mit dem Schriftzug »Hollier-Tennis« auf dem Rücken.
Als sie die Spindreihe der Tennismannschaft erreichten, blieb Madeline wie angewurzelt stehen. »Wow!« Laurel schlug sich die Hand vor den Mund.
Emma schaute an ihnen vorbei und hätte beinahe aufgeschrien. Auf dem Flur und auf den Bänken lagen verstreute Papierfetzen, und rote Flüssigkeit tropfte von ein paar Spindtüren herab. Auf dem Boden sah sie die mit Klebeband markierten Umrisse eines Körpers, bei dessen Kopf sich eine große Lache des roten Zeugs – war das etwa Blut ? – gesammelt hatte. Der Bereich war mit gelbem Polizeiband abgesperrt, auf dem Tatort nicht betreten stand.
Emma hatte das Gefühl, in einen Tunnel zu starren. Sie wich einen großen Schritt zurück. Sah sie das wirklich gerade? Sie dachte wieder an den Brief. Sutton ist tot. Vielleicht hatte jemand ihre Leiche entdeckt … und zwar hier .
Vielleicht war das Snuff-Video auf einer Lichtung ganz in der Nähe gedreht worden.
Der Mörder hatte Sutton in den Umkleideraum geschleppt und sie hier abgelegt, damit ihre Leiche gefunden wurde. Und wenn Sutton wirklich gefunden worden war, was bedeutete das dann für Emma?
Ich versuchte mir vorzustellen, wie ich auf dem kalten Boden der Umkleidekabine lag, Blut aus meinem Kopf sickerte und sich meine Augen langsam schlossen. War es so passiert? Hatte jemand mich hier abgelegt? Aber die Szene im Umkleideraum passte nicht zu den Erinnerungsfetzen an meinen Tod, die mir bereits bekannt waren – die Schreie, die Dunkelheit und das Messer an meiner Kehle. Irgendetwas war faul an der Sache. Dann bemerkte ich, dass Laurel hinter vorgehaltener Hand nervös lächelte.
»Psst.« Charlotte zerrte die anderen in den Duschraum. Der Boden war nass und glänzend, und jemand hatte auf der Ablage in einer Kabine eine große Flasche Aveda-Shampoo vergessen. Charlotte spähte durch den Türrahmen und bedeutete den anderen, es ihr nachzutun. Ein paar Mädchen aus verschiedenen Mannschaften gingen an den Tennis-Spinden vorbei und blieben entsetzt stehen, als sie den Tatort sahen. Eine athletische Querfeldeinläuferin fotografierte die Szenerie mit ihrem Handy. Ein asiatisches Mädchen warf einen Blick in den Gang und rannte dann sofort in die andere Richtung. Als Nisha durch die Tür kam, drückte Charlotte Emma die Hand. »Lasst das Spiel beginnen.«
Emmas Hände wurden kalt und feucht. Endlich begriff sie, was hier los war. Doch bevor sie etwas sagen konnte, legte ihr Charlotte den Finger an die Lippen. Pssst .
Nishas dunkles Haar fiel ihr offen über den Rücken. Sie trug eine grüne Tennistasche über der Schulter. Als sie um die Ecke bog und den Tatort sah, blieb sie wie angewurzelt stehen. Dann machte sie ein paar vorsichtige Schritte darauf zu und starrte auf das mit Polizeiband abgesperrte Spind.
»Miss?« Eine Frau in Polizeiuniform stürmte in den Gang und ließ alle – auch Emma, Charlotte und Madeline – zusammenzucken. Nisha wich zurück und drückte sich die Hand auf die Brust, als wolle sie sagen: »Wer, ich?« »Können Sie mir sagen, wem dieses Spind gehört?«
Nishas goldene Haut wurde aschfahl. Sie betrachtete die Polizeimarke der Frau, dann ihre Waffe. »Äh, das gehört mir.«
Laurel lachte leise auf. Charlotte brachte sie mit einem Blick zum Schweigen.
Die Polizistin klopfte mit der Antenne ihres Funkgerätes an das Spind. »Würden Sie es bitte für mich öffnen? Ich muss es durchsuchen.«
Nishas Tasche rutschte ihr von der Schulter und prallte auf dem Boden auf. Sie hob sie nicht wieder auf. » W … warum?«
»Ich habe hier einen Durchsuchungsbefehl.« Die Polizistin faltete ein Blatt Papier auseinander und
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