LYING GAME Und raus bist du
Ecke, betraten die Lobby und wichen ein paar Kids aus, die bei der Vitrine mit den besten Keramikarbeiten der Schüler einen spontanen Breakdance-Wettbewerb veranstalteten. »Sagen wir mal, ich würde am liebsten die Schule schmeißen und mich irgendwo in einer Höhle verkriechen.«
»Geht es um den Nisha-Streich?«, fragte Ethan. »Beim Kaffeeholen habe ich zwei Mädchen darüber reden gehört«, fügte er hinzu und hob verlegen eine Schulter. »Muss ziemlich … schräg gewesen sein.«
Emma ließ sich auf eine Bank in der Lobby fallen. »Ja. Meine Freundinnen sind ein bisschen … zu weit gegangen.«
Ethan setzte sich neben sie, nahm ein Flugblatt, das für den Erntedankfest-Schulball warb, und zerknüllte es in seinen Händen. Sein Mund verzog sich zu einem sarkastischen Lächeln. »Findest du das ungewöhnlich? Ihr Mädels geht doch eigentlich immer zu weit.«
Emma hatte plötzlich einen Kloß im Hals. Charlottes W orte wurden in ihrem Kopf herumgeschleudert wie Kla motten in einem Trockner. Du hast schon wesentlich Schlimmeres angestellt, Sutton. War das etwa Sinn und Zweck dieses Spiels?
Sie schluckte mühsam und starrte abwesend auf eine große Vitrine neben dem Eingang zur Aula, in der ein Schild mit der goldenen Aufschrift In Memoriam hing. Schwarz-weiße Jahrbuchfotos mit den Namen und Todesdaten der verstorbenen Schüler waren darauf angeordnet. Suttons Name sollte auch dort stehen , dachte Emma. Sie fragte sich, ob ihr Mörder auch täglich durch diese Lobby spazierte.
Zwei Jungs spielten im Flur fangen, ihre Füße prallten mit lauten, hallenden Klatschern auf dem harten Boden auf. Emma blinzelte. Bevor sie etwas sagen konnte, klingelte es. Ethan lächelte ihr zum Abschied zu. »Wenn du keine Lust mehr auf die Streiche hast, dann solltest du deinen Freundinnen sagen, dass du aussteigen willst. Lass die Sache einfach hinter dir. Damit würdest du allen hier einen großen Gefallen tun.« Er warf seinen leeren Becher in einen Mülleimer. »Bis dann.«
Er ging den Flur entlang, und Emma schaute ihm nach. Ihre Handflächen waren schweißnass. Sie wusste, dass sie jetzt aufstehen musste, aber ihre Beine gehorchten ihr nicht. Die Gesichter der Toten auf dem »In Memoriam«-Poster schienen sie mit unheimlichen, wissenden Augen anzustarren. Schlagartig wurde ihr klar, was sie zu tun hatte. »Ich muss hier raus«, flüsterte sie.
Noch nie war sie sich einer Sache so sicher gewesen.
Was auch immer das Lügenspiel sein mochte, Sutton war in eine Sache hineingeraten, die gefährlich und beängstigend war. Und viel zu viel für Emma. Sogar hier in der Schule fühlte sie sich wie eine Zielscheibe auf dem Schießstand.
Und möglicherweise, dachte ich schaudernd, hatte bereits jemand auf sie angelegt.
Laurels Jetta gab ein kreischendes Geräusch von sich, als Emma ihn auf den Parkplatz des Greyhound-Busbahnhofes in der Tucsoner Innenstadt steuerte. Sie bremste heftig und schaffte es gerade noch, vor der hölzernen Balustrade, die die Parklücke begrenzte, anzuhalten. Dann stellte sie den Motor ab und sah sich vorsichtig um.
Die Luft war so heiß wie in einem Ofen, und der Asphalt flimmerte. Zwei alte Männer vor dem Bahnhofsgebäude schauten Emma misstrauisch an. Auf der anderen Straßenseite hielten drei abgerockte College-Studenten, die gerade auf dem Weg ins Hotel Congress waren, mitten im Gehen inne und starrten sie ebenfalls an. Sogar die Domina-Schaufensterpuppen des S&M -Shops schienen sie anzuglotzen.
Es war später Nachmittag, und Emma hätte eigentlich beim Tennistraining sein müssen. Sie hatte den ganzen Tag darüber nachgegrübelt, wie sie die Stadt am besten verlassen sollte – und wo sie eigentlich hingehen wollte. Sie hatte nicht die Absicht, ihre Flucht mit Suttons Kreditkarte zu finanzieren – sie wollte keine Spuren hinterlassen, die den Mörder zu ihr führen konnten.
Und dann fiel es ihr wie Schuppen von den Augen: Das Schließfach in Vegas. Sie hatte ihre zweitausend gesparten Dollar dort gelassen, weil sie nicht so viel Bargeld nach Tucson mitnehmen wollte. Das Schließfach ließ sich nur durch eine Zahlenkombination öffnen, die Emma auf Beckys Geburtstag, den zehnten März, eingestellt hatte. Wenn sie es irgendwie schaffte, zu dem Schließfach zu kommen, konnte sie sich eine Zeit lang über Wasser halten. Sie würde sich ein billiges Busticket kaufen und an die Ostküste fahren, wo niemand sie kannte. Wenn sie das Feld räumte, würden die Leute hier vielleicht endlich merken,
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