LYING GAME Und raus bist du
Periodensystem der Elemente. »Ich hoffe, es macht dir nichts aus, dass ich dich einfach in Beschlag genommen habe«, sagte Madeline. »Mädels toppen Jungs, richtig?«
»Absolut«, stimmte Emma ihr zu. »Garrett rückt mir ein bisschen zu dicht auf die Pelle.«
»Na ja, so ist er eben.« Madeline stieß sie mit der Hüfte an. »Wettrennen!« Sie rannte los und Emma rannte hinter ihr den Flur entlang. Sie stürmten in den Regen hinaus und durch den Parkplatz, bis sie bei Madelines Auto ankamen, einem alten Acura, auf dessen Kotflügel derselbe Schwanensee-Mafia-Aufkleber prangte, der auch auf ihrem iPhone klebte. »Steig ein!«, schrie Madeline, hechtete ins Auto und knallte die Tür zu. Emma folgte ihr kichernd. Regen trommelte heftig gegen die Windschutzscheibe und das Dach. »Puh!«
Madeline warf ihre genietete Ledertasche auf den Rücksitz und rammte ihren Schlüssel ins Zündschloss. »La Encantada?«
»Klar«, antwortete Emma.
Madeline ließ den Motor aufheulen und raste von dem Parkplatz runter, ohne auf den Verkehr zu achten. Ein Katy-Perry-Song lief im Radio, und sie drehte ihn bis zum Anschlag auf und sang den Refrain in perfekter Tonlage mit. Emma klappte der Kiefer herunter.
»Was ist?«, fragte Madeline scharf.
»Deine Stimme ist so schön«, platzte Emma heraus. Aber für den Fall, dass das nicht nach Sutton geklungen hatte, fügte sie hinzu: »Sing, du Miststück!«
Madeline strich sich eine schwarz gefärbte Locke hinters Ohr und sang den nächsten Vers mit. Mitten auf der gewundenen Campbell Avenue klingelte Madelines Handy. Sie zog es aus der Tasche und überprüfte das Display, ein Auge auf die Straße gerichtet. Ihr Gesicht verzog sich zu einer Grimasse.
»Alles okay?«, fragte Emma.
Madeline starrte geradeaus, als sei die Ampel, an der sie gerade hielten, unendlich interessant. »Mal wieder Mist wegen Thayer. Egal.« Sie warf das Handy auf den Rücksitz. Es prallte hart auf den Polstern auf.
»Willst du darüber reden?«, fragte Emma.
Madeline stieß heftig den Atem aus. »Mit dir ?«
»Wieso nicht?« So etwas machten gute Freundinnen doch, oder?
Damit hatte sie bestimmt recht. Aber irgendwie hatte ich das Gefühl, dass meine Mädels und ich uns nicht oft mit Gefühlsduseleien aufhielten.
Die Ampel wurde grün, und Madeline stieg aufs Gas. Ihre Augen waren glasig, als würde sie gleich losheulen. »Na ja, die Polizei hat meinen Eltern gesagt, dass die Suche nach ihm eingestellt wird«, sagte sie monoton. »Er ist jetzt offiziell ein Ausreißer. Sie können nichts mehr tun.«
»Das tut mir leid«, sagte Emma. Sie hatte auf Facebook nach Informationen darüber gesucht, warum Madelines Bruder abgehauen war, aber sie fand kaum Einträge dazu. Es gab eine Seite, die seinem Verschwinden gewidmet war und detailliert auflistete, was Thayer zuletzt getragen hatte (ein weites Polohemd und Cargohosen mit Tarnmuster) und wo er zuletzt gesehen worden war (den Wanderwegen im Rita-Gebirge im Juni). Auf der Seite stand auch, dass es eine Suchaktion gegeben hatte, bei der rein gar nichts gefunden worden war, weder ein einzelner Schuh noch eine leere Wasserflasche. Von Thayer fehlte bis heute jede Spur. Es war eine gebührenfreie Nummer angegeben, wo man anrufen konnte, wenn man Informationen zu dem Fall hatte. Sutton war auf Facebook nicht mit Thayer befreundet, also konnte Emma sein Profil nicht aufrufen, um mehr zu erfahren. Ihr fiel allerdings auf, dass Laurel engen Kontakt zu Thayer pflegte – es gab Schnappschüsse, auf denen sie gemeinsam Blödsinn machten, Links zu YouTube-Videos an Laurels Pinnwand, unterlegt von Kommentar-Dialogen über anstehende Konzerte in der University of Arizona. Aber Laurels Profil verriet ihr sonst kaum etwas. Laurel hatte nicht einmal Thayers Verschwinden kommentiert – ihr einziger Eintrag an jenem Tag war eine Statusmeldung, in der stand: »Ich gehe im November zu Lady Gaga! Total aufgeregt!«
D ie Scheibenwischer fuhren quietschend über die Wi ndschutzscheibe. Der Regen hatte aufgehört, so plötzlich, wie er begonnen hatte. Am Horizont erschien ein Regen bogen. Emma zeigte ihn Madeline. »Schau mal! Das bringt Glück!«
Madeline schniefte. »Nur dumme Ziegen brauchen Glück.«
Emma betrachtete die Hasenpfote an Madelines Schlüsselring und fragte sich, ob ihre Freundin das wirklich glaubte. »Weißt du, den meisten Ausreißern geht es gut«, sagte sie sanft. »Wo Thayer auch ist, er hat sicher ein paar andere Kids gefunden, die in derselben Lage sind
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