LYING GAME - Weg bist du noch lange nicht
verspürt hatte, als sie die Worte aussprach, war immer noch nicht verschwunden.
»Und du und dieser Neue … seid ihr zusammen?« Mr Mercer sprach so zögernd, als wisse er nicht, ob man das heute auch noch so nannte.
Emma holte sich einen sauberen Lappen aus dem Metallregal und verdrehte ihn zu einem Knoten. Als sie den Lappen wieder entknotete und ausbreitete, sah sie einen verblassten Aufdruck, der eine Krabbe und eine Muschel beim Tangotanzen zeigte. Es musste ein Werbehandtuch für ein Restaurant oder ein Fischgeschäft gewesen sein, aber die Schrift war nicht mehr zu erkennen.
»Nein«, antwortete Emma müde. »Die Sache ist … kompliziert.«
»Warum?«
Sie schloss die Augen. »Es fällt mir schwer, anderen zu vertrauen, glaube ich.«
Mr Mercers Gesicht wirkte plötzlich traurig. »Du solltest anderen vertrauen, Sutton. Lass nicht …«
Emma wartete darauf, dass er den Satz beendete, aber Mr Mercer verzog nur den Mund und wendete den Blick ab. »Lass was nicht?«, fragte sie schließlich.
»Ich meine nur …« Er suchte in seinem Werkzeugkasten herum. Die Werkzeuge klapperten laut aneinander. »Ich will nur das Beste für dich. Wenn es sein soll, dann wird es auch klappen, mein Schatz.«
»Möglich«, sagte Emma nachdenklich. Sie musste an den Freund-Stern denken, der klar am Himmel strahlte. Schicksal.
Dann legte sie den Lappen wieder ins Regal, ging zu Mr Mercer und schlang die Arme um ihn. Mr Mercer drückte sie einen Moment lang nur vorsichtig an sich, als sei er sich nicht sicher, ob die Geste ernst gemeint war. Aber dann umarmte er sie fest. Er roch nach Rasierwasser, schwarzem Pfeffer und Motoröl.
Diesen Geruch kannte ich so gut. Trauer überflutete mich, bis ich glaubte, darin versinken zu müssen. Ich würde alles dafür geben, meinen Dad noch einmal umarmen zu dürfen. Während ich meinen Vater und Emma betrachtete, stieg ein dunkles Bild in mir auf. Die vor Schreck geweiteten Augen meines Vaters, als er sich umdrehte und mich sah. Das Gefühl seines Verrats, das sich wie ein Pflock in mein Herz bohrte. Aber bevor ich mehr erkennen konnte, versank die Erinnerung wieder im Nichts.
17
Am Donnerstag Nachmittag standen Emma, Charlotte und Madeline während der letzten Unterrichtsstunde hinter der Bühne der Aula. Sie trugen schwarze Cocktailkleider und hochhackige Schuhe. Alte Requisiten und Bühnenbilder, vergessene Skripte der Produktion von Oklahoma! , die letztes Jahr an der Schule aufgeführt worden war, lagen verstreut in dem ansonsten kahlen Raum herum. An den Wänden hingen ein paar hohe Spiegel. Auf der anderen Seite des Vorhangs sah die Sache allerdings anders aus. Heute Morgen hatten die Mädchen mit der Hilfe der eigens engagierten Partyplaner die Bühne in eine elegante, geisterhafte Replik der Titanic verwandelt, mitsamt Kronleuchtern, einer breiten Freitreppenattrappe, vergoldeten Einbauten und mit edlem Porzellan gedeckten Tischen.
Emma schüttelte beeindruckt den Kopf. »Das sieht wirklich toll aus.« Leider würde der Ball am Freitagabend nicht vor diesem Dekor, sondern in der Turnhalle stattfinden.
Charlotte tigerte auf und ab und klopfte mit den Fingern rhythmisch auf ihr Klemmbrett. Ihre pedantische Art und ihre Detailbesessenheit machten sie zur idealen Organisatorin.
»Okay«, sagte sie jetzt. »Wenn alle in die Aula gekommen sind, verkünden wir die Namen der Nominierten für den Hofstaat. Die werden dann in den Saal einlaufen und mit ihren Begleitern den ersten Walzer tanzen. Die Party dauert, bis der letzte Schulbus angekündigt wird.«
Madeline deutete auf die Caterer in weißen Uniformen, die hinter der Bühne hin-und hereilten und Terrinen, Platten, Krüge und Gläser auf einen langen Klapptisch stellten. »Wir haben Cider, Vorspeisen, Käseplatten. Laktosefreie Häppchen für Norah, glutenfreies Zeug für Madison.«
»Vergiss Alicia Young nicht«, sagte Laurel und strich eine unsichtbare Falte in ihrem Cocktailkleid glatt. »Sie macht gerade eine Grapefruit-und-Cayennepfeffer-Kur.«
Charlotte sah aus, als würde sie gleich explodieren. »Diese Diät ist ekelhaft. Ihr wird nichts anderes übrig bleiben, als zu hungern.«
Es versetzte mir einen Stich, den anderen bei den Vorbereitungen zuzusehen. Ich erinnerte mich vage an die letztjährige Party für den Hofstaat des Schulballs. Nicht mehr an das Thema oder die Dekorationen, aber an den Augenblick, in dem ich auf die Bühne getreten war, um die Gewinner zu verkünden. Sicher in dem Wissen, dass ich
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