Lykandras Krieger 3 - Wolfskriegerin (German Edition)
sich nach ihr umzublicken. Da strömten die Bilder wieder auf sie ein. Fluchende Menschen, die mit Knüppeln bewaffnet waren, sie jagten, weil sie sie fürchteten.
Keira stöhnte und musste sich an der Hauswand abstützen. Ihr Kopf schmerzte erneut. Es pochte und hämmerte heftig, als befände sich unterhalb der Schädeldecke eine Baustelle. Aber die Erinnerung war schnell verflogen, und ehe sie erneut einem Anfall unterlag, war dieser schon wieder vorbei. Trotzdem blieb ein fader Beigeschmack. Menschen fürchteten sie, weil sie instinktiv spürten, dass sie anders war.
Der Mann am Boden keuchte, versuchte, sich aufzurappeln, aber sie ignorierte ihn. Sie war hier fertigund wandte sich um. Regenwolken zogen auf, erste Tropfen prasselten sanft, dann zunehmend stärker auf sie hernieder. Keira hielt sich eng an die Hauswände, suchte Schutz unter den Dachvorsprüngen, aber dann wurde ihr klar, dass sie es nicht rechtzeitig zum Motel zurückschaffte. Das kurze Erlebnis hatte sie wachgerüttelt. Sie war allein. Besaß keine Freunde unter den Menschen und der Einzige, an den sie sich wenden, auf dessen Hilfe sie hoffen konnte, war Killian Blackdoom. Ein gewaltiger Schauer brach über sie herein und sie rettete sich in einen alten Schuppen. Dort setzte sie sich, lehnte sich an die Holzwand, die unter ihrem Gewicht sacht nachgab, und schloss die Augen.
Das Mädchen hatte noch andere schlafende Dämonen geweckt. Ihr Schicksal erinnerte sie an ihr eigenes. An jene dunkle Zeit, in der sie sich Männern hingab, die sie für ihre Dienste bezahlten. Keira war in dem Milieu aufgewachsen, war von ihrer Mutter ermuntert worden, sich ihrem Gewerbe anzuschließen. Zu dem Zeitpunkt sah sie keine andere Möglichkeit und glaubte, ihr Leben auch in dem Milieu zu beenden, aber es war anders gekommen. Ihr Fluch war auch Segen gewesen, denn durch ihre neuen Kräfte hatte sie sich gegen brutale Zuhälter zur Wehr setzen können und eine Freiheit kennengelernt, die ihr nie zuvor gewährt worden war. Ihr Mentor hatte sie nicht lange überreden müssen, ihr altes Leben hinter sich zu lassen. Nur zu bereitwillig war sie ihm gefolgt. Ihm, der sie gerettet hatte, ihm, der der Einzige war, dem sie etwas bedeutete. Es waren nur wenige Wochen gewesen, aber sie waren intensiv und leidenschaftlich. Vren erfüllte ihr jeden Wunsch, der in seiner Macht stand. Er war ein gut aussehender Mann gewesen. Sie war überrascht, wie sehr sie sich zu ihm hingezogen fühlte, nachdem er seine grässliche, monströse Gestalt abgestreift hatte. Seine sanften Hände, seine zarten Lippen. Ja, es war der Himmel auf Erden gewesen. Doch er währte nur kurz. Eines Nachts stand er wieder vor ihnen. Derselbe Vampir, der Keira beinahe leergesaugt und Vren getötet hätte. Er wollte zu Ende bringen, was er begonnen hatte und dieses Mal gelang es ihm. Sie erinnerte sich an jenen schrecklichen Moment, in dem sie den sterbenden Vren in den Armen hielt. Alles war voller Blut. Seine Kleidung, ihre Hände. Sie glaubte, den Verstand zu verlieren, wollte selbst sterben, aber dann erkannte sie, wie töricht das war, denn dann würde Vrens Tod niemals gerächt. Keira war durch die Lande gezogen, auf der Suche nach jenem Vampir mit dem Mal auf der Stirn, der solches Leid über sie gebracht hatte. Doch er war wie vom Erdboden verschluckt, als hätte er sich in Luft aufgelöst oder als hätte es ihn nie gegeben. Und dann hatten die Anfälle begonnen. Die ersten hielt sie für simple Magenprobleme, schenkte ihnen keine Bedeutung. Dann waren sie stärker geworden, kaum zu ertragen, aber es gab auch Phasen, in denen sie verschont blieb. In einer jener Phasen war sie auf ihr späteres Rudel gestoßen. Dort war alles nur noch schlimmer geworden. Aber auch das hatte sie letztlich stärker gemacht. Ihr Überlebenswille war enorm. Niemand vor ihr, der zwischen den Welten stand, der eine Chimäre war, hatte so lange ausgehalten, gekämpft, überlebt.
Lautstark prasselte der Regen auf das hölzerne Dach. An der Hand spürte sie ein Zwicken, und als sie hinuntersah, erblickte sie eine Ratte, die über ihre Bewegung erschrak und sich in den Schatten zurückzog. Draußen vernahm sie das Grummeln des nahenden Unwetters. Keira zog die Beine enger heran, versuchte, sich zu wärmen, aber ihr Körper zitterte vor Eiseskälte und sie wurde mit jeder Sekunde nasser. Wieder einmal sehnte sie sich nach einem Zuhause. Einem richtigen Heim, das ausgestattet war mit allem, was dazugehörte. Einem weichen Bett,
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