Lykos (German Edition)
Träumen“, raunte die alte Frau, als würde sie die Bilder in Straubs Kopf ebenfalls sehen können. Ihre Stimme war nicht mehr so rau, sondern weich und sanft. „Was hat er getan?“, wollte sie plötzlich wissen, wobei ihre Stimme wieder deutlich heiserer wurde und ihre Augen seltsam funkelten.
„Er ... mordet ... auf furchtbare Weise“, antwortete der Oberkommissar zögernd. Seine Kollegin blickte ihn besorgt an und betrachtete die alte Frau mehr als verwundert.
„Das schlimmste Raubtier, Herr Oberkommissar. Aber noch schlimmer wird es, wenn es die Gestalt von anderen Raubtieren annimmt und deren Verhalten nachahmt.“
„Was meinen sie damit?“, wollte Straub wissen.
„Der Mensch, der sich in den Wolf verwandelt – er ist es, den sie suchen“, antwortete sie und starrte ihn an.
„Sie meinen ... einen Werwolf?“ Der Polizist war urplötzlich wieder vollkommen er selbst. Der eigenartige Bann der alten Frau war weggewischt wie staubige Spinnenweben. Natürlich, die vielen okkulten Gegenstände, die Bücher und ihr hohes Alter. Wie hatte er sich auch nur einen Augenblick von diesem Unsinn einfangen lassen können? „Frau Kiechnetzky, einen Werwolf suchen wir mit Sicherheit nicht. Wir suchen einen Menschen, der ...“
In diesem Moment ging die Tür des Wohnwagens auf und der Direktor des Zirkus lugte hinein. Er fragte seine Mutter etwas auf polnisch oder ukrainisch, wie es sich anhörte. Die alte Frau antwortete ebenso und es entstand ein Wortwechsel, der nach und nach heftiger wurde und zu einem Streit ausartete. Straub und Damm blickten zunächst hilflos zwischen Mutter und Sohn hin und her und unterbrachen den Streit dann einfach dadurch, dass sie sich von der alten Frau verabschiedeten.
„Denken sie daran – sie suchen einen Menschen, der zum Wolf wird“, sagte sie noch einmal bestimmt und blickte den beiden Polizisten tief in die Augen.
„Sie müssen meine Mutter entschuldigen“, mischte sich der Direktor ein. „Sie ist sehr alt und schon etwas verwirrt. Hören sie nicht auf sie!“, sagte er und begleitete die beiden Polizisten hinaus. Kiechnetzky ging mit bis zum Fahrzeug der beiden Beamten. Fast schien es, als wolle er diesmal sicher gehen, dass sie auch wirklich verschwanden. Er entschuldigte sich nochmals für seine Mutter und wartete, bis Straub und Damm eingestiegen waren.
„Sie brauchen sich nicht für ihre Mutter zu schämen“, entgegnete der Oberkommissar durch das offene Fenster des Wagens. „Sie ist eine interessante alte Dame und hat sicher viel in ihrem Leben erlebt.“
Kiechnetzky nickte nur und blickte dann dem Fahrzeug hinterher, bis Straub vom Festplatz wieder auf die Neißestraße abbog und zurück zur Inspektion fuhr.
„Ein seltsamer Typ, findest du nicht?“, bemerkte Angela Damm.
„Wen von beiden meinst du? Sohn oder Mutter?“, grinste Straub.
„Die alte Frau war faszinierend. Sie hätte bestimmt noch mehr erzählt, wenn er sie gelassen hätte“, sagte die Polizistin nachdenklich.
„Ja, wahrscheinlich hätten wir dann tatsächlich an Werwölfe geglaubt. Das ist doch mal eine interessante These. Ein Mensch verwandelt sich in einen Wolf und mordet in diesem Zustand. Das brauchen wir nun nur noch Reiner zu erklären und dann schickt er uns für die nächsten drei Monate in den Urlaub“, lachte Straub.
„Die Morde geschahen alle bei Vollmond“, warf Angela Damm mit ernster Mine ein. Doch dann musste sie auch laut lachen, denn dem Blick ihres Kollegen konnte sie nicht lange standhalten.
„He, du willst mich wohl verarschen?“, sagte Straub kopfschüttelnd. „Aber mal Spaß beiseite. Die Theorie mit dem Lykantrohpen von diesem Professor kommt mir angesichts der Geschichten von der alten Dame immer wahrscheinlicher vor. Ich glaube, unsere Suche nach einem echten Wolf wird ziemlich erfolglos enden, egal was dieser Leuschenberger auch immer gefunden zu haben glaubt.“
„Höchstwahrscheinlich hast du recht. Aber eines kannst du dabei nicht verleugnen. Der Fall ist schon eigenartig und du warst vorhin bei der alten Lady ebenso gebannt, wie ich.“
„Ja, das stimmt“, nickte Straub. Er wollte noch weiter darauf eingehen, als plötzlich ein Funkspruch von der Zentrale erfolgte.
„Peter, wo seid ihr jetzt gerade?“, fragte die Stimme aus dem Lautsprecher.
„Wir kommen gleich herein“, antwortete Straub.
„Gut, hier ist jemand für euch, der eine interessante Aussage machen möchte, die vielleicht zu eurem aktuellen Fall passt.“
„Na, da
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