Lykos (German Edition)
waren. Die selbe Farbe wies auch die Tischdecke, der Teppich und mehrere andere Dinge in dem Wohnwagen auf. Ganz offensichtlich war das die Lieblingsfarbe der eigenartigen alten Dame.
„Sind sie das dort auf den Bildern?“, fragte Angela Damm. Straub ahnte, dass seine Kollegin fasziniert von der alten Frau war. Lebensgeschichten interessierten sie ebenso stark, wie der Sport.
„Ja, das bin ich“, antwortete die alte Frau leise. „Sie müssen wissen, ich früher eine richtige Berühmtheit war. Anastasia Kiechnetzky, genannt die Schlangenkönigin auf dem Trapez!“
„Schlangenkönigin?“, fragte Damm und lächelte die ehemalige Artistin an.
„Ja, ich bin mit Schlangen auf das Trapez gegangen. Das war damals einzigartig und viele haben meine Darbietung bewundert. Aber ich habe nicht nur mit Schlangen gearbeitet. Auch mit Affen, Bären, Löwen und mit vielen anderen Tieren. Ich war überall auf der Welt und einmal war ich sogar in Las Vegas. Das dort auf dem Bild bin ich mit Harald Simons, dem berühmten Schauspieler. Und das daneben ist der amerikanische Präsident Johnson.“
„Sie sind wohl viel herumgekommen in ihrem Leben“, bemerkte Straubs Kollegin und ein Hauch des Bedauerns lag in ihrer Stimme. Es war offensichtlich, dass die alte Dame manchen Schicksalsschlag und den sozialen Abstieg erlebt hatte. Ihr Leben auf der Sonnenseite als umjubelter Varietestar war einem eher traurigen Dasein in einem drittklassigen Zirkus gewichen.
„Ja, aber nun bin ich hier angekommen – und ich habe es gut“, antwortete Anastasia Kiechnetzky in einem fast trotzigen Tonfall, als erriete sie die Gedanken der jungen Polizistin. „Mein Sohn sorgt sehr gut für mich und wie sie sehen, ist der Zirkus mir treu geblieben.“
„Sie sagten, dass sie uns etwas über die Wölfe erzählen können“, mischte sich Peter Straub nun in das Gespräch ein und erntete damit etwas Unmut bei der alten Dame.
„Meine Güte, ist der immer so ungeduldig?“, fragte sie Angela Damm und zwinkerte ihr zu.
Straubs Kollegin winkte ab und lachte. „Nicht immer, aber manchmal ist er schon unerträglich“, antwortete sie scherzend.
„Nun gut, dann will ich ihn auch nicht länger hinhalten. Ich habe vorhin zufällig mitbekommen, sie meinen Sohn nach Wölfen fragten, da bin ich aufmerksam geworden.“
„Weshalb denn, wenn ich fragen darf?“, wunderte Straub sich.
„Na, wenn die Polizei auf der Suche nach einem Wolf ist, dann muss doch etwas dahinterstecken. Sind sie von der Kriminalpolizei?“, fragte die alte Frau.
„Ja. Ich bin Oberkommissar Straub, das ist meine Kollegin Kommissarin Angela Damm.“
„Dann ist es also ein ernster Fall“, bemerkte Anastasia Kiechnetzky.
„Nein, das hier ist nur Routine“, log Straub denkbar schlecht und fühlte sich daraufhin sofort ertappt, denn die alte Frau lächelte ihn hintergründig an.
„Sie können sehr schlecht etwas vor mir verbergen, Herr Oberkommissar. Sie müssen wissen, dass ich sehe – ich sehe mehr als andere Menschen.“
„So?“, bemerkte Straub mit hochgezogenen Brauen.
„Ja. Sie suchen ..., sie suchen etwas, das sie sich noch nicht erklären können. Der Wolf ist ein Raubtier und sie suchen ein Raubtier, nicht wahr?“
„Ja, das tun wir in der Tat“, bemerkte der Oberkommissar und nickte. Das hatte ihm eigentlich gerade noch gefehlt. Eine alte Wahrsagerin, die ihn durchleuchtete. Aber dennoch war er auch gespannt, was sie noch weiter herausbekommen würde. Seine Kollegin betrachtete das Ganze mit interessiertem Blick und einem leichten Lächeln auf den Lippen.
„Ich kenne mich mit Raubtieren sehr gut aus, Herr Kommissar“, fuhr Anastasia Kiechnetzky fort. „Ich habe mein ganzes Leben mit ihnen verbracht. Und ich kenne auch das schlimmste, das furchtbarste Raubtier von allen!“
„Nämlich?“, fragte Straub interessiert.
„Der Mensch!“, flüsterte die alte Dame und kam mit dem Gesicht näher an Straub heran.
„Ja, da haben sie allerdings recht“, bestätigte der Polizist. Vor seinen Augen spielten sich plötzlich wieder die Bilder aus Bosnien ab, die er eigentlich vergessen wollte. Sein Blick wurde trüb und für einen Augenblick vergaß er alles um sich herum. Straub sah die vielen Leichen, die furchtbar zugerichteten Körper, die Verwesung und es war, als könne er seine Gedanken und Gefühle nicht mehr selbst steuern.
„Sie haben es gesehen, nicht wahr? Schlimme Dinge haben sie gesehen – und sie verfolgen sie manchmal in ihren
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