Lykos (German Edition)
Leiche fand man am 16. Oktober im Stadtpark Lebenstedt nahe des Bahnhofgeländes. Ein weiteres, weibliches Opfer wurde anscheinend am selben Morgen auf der Theodor-Heuss-Straße in Höhe des Salzgittersees gefunden. Über das dritte Opfer schweigt sich die Polizei in Salzgitter sich offiziell noch aus. Auch ein Zusammenhang zwischen den Taten wird bisher bestritten, allerdings wurde bereits eine Sonderkommission gegründet, was auf die hohe Aufmerksamkeit hindeutet, die man dem Fall widmet. Weitere Hintergründe im Innenteil.
„Na super, jetzt haben sie ja doch ihre Schlagzeilen – und irgend jemand hier quatscht auch noch“, bemerkte Straub halb resigniert und faltete die Zeitung wieder zusammen. Dann blickte er den Mann gegenüber auf dem Stuhl wieder an und lächelte. „Was haben sie denn nun in diesem Zusammenhang auf dem Herzen?“, fragte er.
„Ich glaube, wir haben ihn gesehen, diesen Mörder meine ich. Und die Worte in der Zeitung stimmen ganz genau. Das mit unheimlich und so was“, brummte der Mann.
„Wer ist denn wir?“, hakte Straub nach.
„Ach so, der Charlie und ich. Charlie ist mein Kumpel. Bei dem wohn ich ab und zu, wenn’s kalt wird. Wir ... haben uns gestern ... ach, das hab ich doch schon euren Kollegen da erzählt.“
„Tun sie uns doch den Gefallen und erzählen sie es uns noch einmal. Bis wir dazu kommen, die Akten einzusehen ...“, bat Straub freundlich und erntete dafür ein einsehendes Nicken des Zeugen.
„Na gut. Also, wir waren gestern Abend noch ne Runde aufem Friedhof ... zum Spazieren gehen, machen wa gern mal“, begann Heinz Jürgens zögerlich. Straub und Damm blickten sich an und wussten sofort, was sie beide dachten. Die Obdachlosen trafen sich öfter auf dem Friedhof zum Blumendiebstahl, um die Sträuße dann für wenig Geld zu verkaufen und sich so ihre Spritkasse, wie der Oberkommissar es immer nannte, etwas aufzubessern. Straub ließ den Mann jedoch kommentarlos weitererzählen. Demnach hatten sich Jürgens und sein den Polizisten bisher unbekannter Kumpane Charlie gegen 19 Uhr auf den städtischen Friedhof begeben, wie er nun erzählte ...
Um diese Uhrzeit befand sich kein Mitarbeiter des Garten- und Friedhofamtes und auch zumeist kein Besucher mehr auf dem Gelände, da es um die Jahreszeit bereits stockdunkel war. Natürlich waren die beiden Männer darauf aus, sich ihre Kasse etwas aufzubessern. Schließlich war zur Zeit sozusagen gerade Hochsaison. Im November starben eindeutig die meisten Leute. Heinz Jürgens und sein Kumpel konnten es sich auch nicht erklären, aber es war schon immer so. Vielleicht lag das an dem grauen, trüben Wetter in diesem Monat. Bei solchem Wetter verloren viele Menschen den letzten Lebensmut. Auf jeden Fall gab es genügend frische Gräber mit den entsprechend vielen Blumengestecken und Sträußen, die man doch ruhig noch einmal verwenden konnte, wie die beiden Männer meinten
„Die Toten stört das nich, die haben eh nischt davon“, sagte Jürgens immer und Charlie gab ihm dabei recht. Sie nutzten den westlichen Seiteneingang und huschten durch das kleine Schwingtor auf das Gelände. Der Mond schien an diesem Abend hell genug, sie sich orientieren konnten. Taschenlampen besaßen sie keine, außerdem wäre das bei ihrem Vorhaben auch nicht besonders klug gewesen.
Sie bewegten sich in Richtung Osten parallel zum Zubringer auf die Autobahn und die Industriestraße und steuerten das neu angelegte Gräberfeld am östlichen Rand des Friedhofes an. Hier gab es diese typisch amerikanischen Grabstätten mit ihren etwa einen Quadratmeter großen Umrandungen aus grauen Steinplatten. Die großen geschwungenen, runden, kreuzförmigen oder schlichten Grabsteine mit den Namen der Verstorbenen wiesen oftmals Daten auf, die ganz in die Nähe von Heinz Jürgens eigenem Alter rückten, wie er nüchtern feststellte, als er draufblickte. Die lagen nun dort unten in der kalten Erde und er war noch froh und lebendig. Vielleicht war das die ausgleichende Gerechtigkeit für seine sonstige Situation, wie er immer meinte.
„Hier, dort drüben ist wieder eins“, sagte Charlie und deutete auf eines der frischen Gräber mit den aufgehäuften Blumenkränzen. Die beiden heimlichen Besucher traten näher und suchten nach passenden Gestecken, die sie mitnehmen konnten. „Wir vergessen dich nie“ und „Unserem Klaus zum Gedenken, Kegelverein Gut Holz“, stand auf den Schleifen, welche an den Kränzen befestigt waren. Die Szene wurde ab und zu von
Weitere Kostenlose Bücher