Lynettes Erwachen
Telefon.
„Ja?“
„Mr. Parker möchte mit Ihnen sprechen. Er bittet Sie, ins Gefängnis zu kommen.“
„Heute noch?“
„Ja. Tut mir leid, Ms. Harllow.“
„Sie können ja nichts dafür, Evelyn.“
Lynette legte den Hörer auf und sah betreten zu Elias hinüber. Sie hätte sich gern noch einmal küssen lassen, doch der Augenblick war vorbei. Sie war im Anwaltsmodus.
„Ich muss zu einem Klienten. Wir sehen uns am Freitag.“
„Ich freue mich schon auf den Anblick: du in Jeanshosen. Ist neun Uhr okay?“
„Sind die Clubs denn so früh auf?“
„Nein, aber ich möchte vorher noch einen Cocktail mit dir trinken.“
„Du willst mich betrunken machen, das wird dir nicht helfen.“
Lächelnd verließen sie das Büro. Lynette begleitete Elias zum Fahrstuhl. Hinter ihr erklang eine unfreundliche Stimme.
„Lynette, mein Vater will dich sprechen.“
„Setzen Sie sich, Ms. Harllow.“
John Ramsey machte einen mürrischen, verstimmten Eindruck. Dieses Gespräch würde alles andere als angenehm verlaufen.
„Welchen Kaufpreis haben Sie erzielt?“
„Eine Million zweihunderttausend.“
„Lag der Preis nicht bei eins sieben?“
„Ich dachte, wir arbeiten für unsere Klienten?“
„Die Kanzlei verdient auf Honorarbasis. Das sollten Sie bei ihren Bemühungen nicht vergessen, Ms. Harllow. Wie kommen Sie dazu, Andrew hinauszuwerfen?“
„Das war nicht ich, sondern Mr. Drake.“
„Ich finde Ihren persönlichen Einsatz Mr. Drake betreffend lobenswert. So viel Engagement sollten Sie auch bei Ihren anderen Klienten aufbringen. Mit dem Rausschmiss meines Sohnes haben Sie Ihre Befugnisse überschritten. Sie arbeiten immer noch für Andrew und nicht umgekehrt.“
Lynette hatte es satt, sich diesen Quatsch anzuhören. Diese Partnerschaft hätte ihr zugestanden, und sie allein erledigte die gesamte Arbeit. Ramseys Unterstellungen waren zudem so erniedrigend, dass ihr fast der Geduldsfaden riss.
„Mr. Ramsey, ich möchte Ihnen nicht zu nahe treten, aber wenn Mr. Drake nicht mit Ihrem Sohn arbeiten will, sollten Sie das akzeptieren. Und was diese Andeutungen angeht, möchte ich Sie bitten, Ihre Fantasie in Zaum zu halten. Ich war immer der Meinung, Sie haben mich wegen meiner guten Arbeit eingestellt. Sollte ich mich da getäuscht haben?“
„Sie gehen zu weit, Harllow. Ich stelle nicht Ihre Fähigkeiten als Anwältin infrage. Dass Sie nicht gerade ein Händchen für Menschen haben, wissen wir beide. Und was meinen Sohn betrifft, rate ich Ihnen dringend, überschreiten Sie Ihre Kompetenzen nicht. Er wird die Kanzlei eines Tages übernehmen. Soweit sollten Sie vorausdenken, Ms. Harllow.“
Seine Stimme wurde weicher, als er sie anlächelte. „Ich hatte gehofft, Sie eines Tages im Kreis der Familie willkommen heißen zu dürfen, Lynette. Daraus scheint ja leider nichts zu werden?“
Lynette blieb der Mund offen stehen. So viel zu ihrer Karriere. Bloß gut, dass sie bereits ihre Kontakte spielen ließ.
„War das alles, Mr. Ramsey? Ich habe noch einen Termin im Gefängnis. Offensichtlich hat Mr. Parker mir etwas zu sagen.“
Parker war Andrews Klient, und sie hatte ihn lediglich ein Mal kurz gesehen. Es sprach Bände, dass er ausdrücklich nach ihr verlangte.
„Warum geht Andrew nicht zu ihm?“
„Weil Parker mich sprechen will. Fragen Sie Ihren Sohn, warum ihn niemand für vertrauenswürdig hält. Einen schönen Abend, Mr. Ramsey.“
Lynette zitterte vor Wut, als sie ihre Tasche packte. Dass sie sich zu einer derartig unbedachten Äußerung hatte hinreißen lassen, ärgerte sie. Es spielte keine Rolle mehr. Ihre Tage bei Ramsey & Smith waren gezählt.
„Du bist spät. Wir verhungern gleich.“
„Deshalb habe ich extra angerufen. Ihr solltet nicht auf mich warten.“
„Wir haben dich zum Essen eingeladen. Natürlich warten wir auf dich. Komm rein. Ich freue mich, dass du da bist.“
„Hi, Ben.“
Sie umarmten einander, als hätten sie sich erst gestern gesehen, obwohl es fast ein Jahr her war.
„Hi, Frank. Das riecht köstlich.“
„Hi, Lynette. Nun aber hopp, hopp. Sonst zerfällt der Braten endgültig.“
Benjamin Lloyds und dessen Mann Frank waren, außer Justine, die Einzigen, die Lynette als Freunde bezeichnen konnte, und es lag an ihr, dass diese Freundschaft spärlich gepflegt wurde. Dabei fühlte sie sich bei den beiden Männern sehr wohl. Sie waren kultiviert, exzentrisch und unglaublich lustig. Benjamin kannte sie aus der Kanzlei. Vor drei Jahren hatte dieser sich
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