Lynettes Erwachen
wechselten einen Blick miteinander. „Dürfte ich mit meinem Mandanten kurz unter vier Augen sprechen?“
„Natürlich, Mr. Bayle.“
„Du bist verdammt gut.“
Elias stand an die Tür gelehnt in Lynettes Büro und beobachtete sie bewundernd. Sie goss sich ein Glas Wasser ein. Ihre Hände zitterten nicht, obwohl er die Anspannung in jeder der Bewegungen sehen konnte.
„Möchtest du etwas zu trinken?“, fragte sie ihn.
„Nein danke. Beruhige dich, es läuft alles perfekt. Auf welche Summe hast du es abgesehen?“
„Maximal eine Million zweihundertfünfzigtausend.“
„Wow! Ich würde auch eine Million dreihunderttausend bezahlen.“
„Musst du nicht. Ich weiß, was ich tue. Du kennst die Vergangenheit des Gebäudes, nicht wahr?“ Ihre Stimme besaß einen schnippischen Unterton.
„Ich sagte, es ist ein Haus mit Geschichte. Wie hast du es herausbekommen?“
„Das war nun wirklich nicht schwer. Ich erledige meine Arbeit gründlich. Als ich bemerkte, dass das Gebäude seit vier Jahren leer steht, fragte ich mich, warum. Es gibt immer noch ein Stadtarchiv. Warum bist du so scharf drauf, einen ehemaligen Puff zu kaufen? Gibt dir das einen besonderen Kick?“
Wieso war sie plötzlich so gereizt?
„Es war kein Puff, sondern der erste exklusive Club in London. Madame Toulouse nahm junge Frauen in ihre Obhut, die nicht wussten, wo sie hinsollten. Gestrauchelte Mädchen, die geschwängert und sich selbst überlassen wurden. Die Mädchen fanden bei ihr ein gutes Zuhause und führten ein angenehmes Leben.“
„Indem sie sich verkauften? Du hast ein sehr verklärtes Bild von Prostitution.“
Elias ging ein paar Schritte auf sie zu, spürte jedoch die Abwehr und blieb stehen.
„Lynette, was immer du denkst, es ist falsch. Madame Toulouse war meine Urgroßmutter. Sie wurde von der Familie genau aus diesem Grund verstoßen. Deshalb bot sie den Mädchen ein Zuhause. Dieses Haus war eine Zuflucht, und ich habe großen Respekt vor ihr. Warum denkst du immer das Schlechteste von mir?“
In Lynettes Gesicht stand offene Überraschung. Er konnte es ihr nicht verdenken. Selbst in der Familienchronik war nicht viel über Madame Toulouse zu finden. Das hätte sie unmöglich herausfinden können.
„Das wusste ich nicht. Davon stand in den alten Zeitungsartikeln nichts.“
„Das glaube ich dir gern. Meine Familie hat sich damals nicht sehr mit Ruhm bekleckert.“ Elias trat dicht an sie heran. „Warum kannst du mir nicht vertrauen?“
Statt ihm eine Antwort zu geben, zögerte sie. Er würde ein Vermögen für ihre Gedanken geben. Ihre nächsten Worte waren erstaunlich ehrlich. Sie verschloss sich ihm nicht.
„Ich vertraue niemandem. Das fällt mir unsagbar schwer.“
„Ich möchte dich um etwas bitten. Wenn wir am Freitag ausgehen, möchte ich mit dir etwas tun, was du noch nie gemacht hast.“
Lynette wich entsetzt zurück.
„Was hast du?“, fragte Elias überrascht. Diese Reaktion war durch nichts begründet. Er hatte eine harmlose Bitte geäußert.
„Ich kenn dich nicht. Wie kommst du darauf, dass ich beim ersten Date mit dir schlafen werde?“
„Was?“ Fassungslos sah er sie an. Es fiel ihr sichtbar schwer, die Fassade der abgebrühten Anwältin aufrechtzuerhalten. Wie kam sie darauf, dass er am Freitag mit ihr schlafen wollte? Seine eigenen Worte hallten ihm durch den Kopf: Etwas, was du noch nie gemacht hast.
Noch nie!
Dass sie nicht sehr viele Erfahrungen hatte, war ihm vorher klar gewesen. Jungfrau? In ihrem Alter? Mein Gott! Das war unfassbar. Er musste sehr behutsam mit ihr umgehen. Mit ihr zu spielen, rückte in weite Ferne.
Als er zu ihr ging, verschloss sie sich. Schamesröte ließ ihre Wangen leuchten.
„Wir sollten jetzt besser zurückgehen. Schließlich haben wir noch ein Haus zu kaufen“, sagte sie sachlich und emotionslos. Elias griff nach ihren Händen.
„Nein, nicht jetzt. Erst das Geschäft“, beharrte Lynette.
Er spürte ihr Zittern durch die Fingerspitzen. „Ich habe das nicht so gemeint, wie es bei dir angekommen ist. Ich dachte an Schlittschuhlaufen oder Klettern, Bungee-Jumping, irgendwas in der Art.“
Ihre Röte wurde noch intensiver. „Können wir das nach dem Meeting besprechen?“
Sie einigten sich auf eine Million zweihunderttausend Pfund. Ein fabelhafter Abschluss. Bayle und Harrington machten keinen erfreuten Eindruck, aber wahrscheinlich war Harrington froh, das Haus endlich los zu sein.
Zurück im Büro konnte Lynette kaum noch die
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