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Lyonesse 1 - Herrscher von Lyonesse

Titel: Lyonesse 1 - Herrscher von Lyonesse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Vance
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Augenblick, wie auf Zehenspitzen, um über die Ebene der Gegenwart zu huschen und sich gleich darauf in den Schatten und der Düsternis der Vergangenheit zu verlieren.
    Der zweite Tag war verschwommen, weniger atemlos, aber die Luft war schwer von dräuendem Unheil.
    Der dritte Tag, immer noch nebelhaft, schien träge und bar von Empfinden, dennoch irgendwie unschuldig und süß, wie bereit zu Erneuerung. An diesem Tage ging Suldrun langsam durch den Garten.
    Manchmal blieb sie stehen, um einen Baumstamm oder einen Stein zu berühren. Mit gesenktem Kopf schritt sie an ihrem Strand entlang, und nur einmal hielt sie inne, um auf das Meer zu blicken. Dann stieg sie wieder den Pfad hinauf und setzte sich zwischen die Ruinen.
    Der Nachmittag verstrich – goldene Traumzeit –, und die Felsklippen umschlossen das gesamte Universum.
    Die Sonne sank sanft und ruhig. Suldrun nickte versonnen, als wäre Erleuchtung in eine Ungewißheit gekommen. Tränen liefen ihr über die Wangen.
    Die Sterne erschienen am Himmel. Suldrun ging hinunter zu dem alten Lindenbaum, und im blassen Schein der Sterne erhängte sie sich. Der Mond, der über die Klippen stieg, schien auf eine schlaffe Gestalt und ein trauriges, süßes Antlitz, schon versunken in sein neues Wissen.
     

17
    Am Grunde seines Verlieses fühlte Aillas sich nicht länger allein. Mit großer Geduld hatte er an einer Wand nebeneinander zwölf Skelette aufgereiht. In längst vergangenen Zeiten, als jeder von ihnen als Mensch durchs Leben geschritten war und schließlich als Gefangener, hatte jeder seinen Namen und manchmal auch einen Sinnspruch in die Wand seines Verlieses geritzt: zwölf Namen, zwölf Skelette. Es hatte keine Rettung gegeben, keine Gnade, keine Flucht. Das schien die Botschaft zu sein, die aus den Namen und Sprüchen sprach. Aillas begann, mit Hilfe einer Spange seinen eigenen Namen in die Wand zu ritzen, doch in einer plötzlichen Aufwallung von Zorn ließ er davon ab. Eine solche Tat bedeutete Resignation und sagte das dreizehnte Skelett schon voraus.
    Aillas betrachtete seine neuen Freunde. Jedem von ihnen hatte er einen der Namen zugeteilt, wahrscheinlich nur in wenigen Fällen den richtigen. »Dennoch«, so sprach Aillas zu den Gerippen, »ein Name ist ein Name, und spräche einer von euch mich mit dem falschen Namen an, so würde ich keinen Anstoß daran nehmen.«
    Er rief seine neuen Freunde zur Ordnung: »Meine Herren, wir sitzen hier in Konklave, unsere vereinte Klugheit zu nutzen und eine gemeinsame Taktik zu beschließen. Es gibt keine starren Regeln, keine festgelegte Ordnung. Wollen wir uns unsere Spontanität zunutze machen, im Rahmen des Anstands und der Schicklichkeit.
    Unser Thema ist ›Flucht‹. Es ist dies ein Gegenstand, über den wir alle nachgedacht haben, offensichtlich ohne Erleuchtung. Einige von euch werden die Sache als nicht länger von Belang betrachten; jedoch, ein Sieg für einen ist ein Sieg für alle! Laßt uns das Problem umreißen. Es besteht, schlicht gesagt, darin, den Schacht hinauf und an die Oberfläche zu klimmen. Ich glaube, wenn ich das untere Ende des Schachtes erreichen könnte, wäre ich in der Lage, an die Oberfläche zu klettern.
    Zu diesem Zwecke muß ich in zwölf Fuß Höhe gelangen, und dies stellt ein gewaltiges Problem dar. Ich kann nicht so hoch springen. Ich habe auch keine Leiter. Ihr, meine Kollegen, besitzt zwar starke Knochen, doch ermangelt es euch an Muskeln und Sehnen ... Wäre es nicht möglich, daß man mit der einfallsreichen Verwendung dieser Knochen und jenes Seiles dort etwas bewirken könnte? Ich sehe vor mir zwölf Schädel, zwölf Becken, vierundzwanzig Schenkelbeine, vierundzwanzig Schienbeine, eine ebenso große Zahl von Oberarmen und Unterarmen, eine Fülle von Rippen und eine große Zahl zusätzlicher Knochen.
    Meine Herren, es gibt Arbeit zu tun. Es ist an der Zeit, die Sitzung zu vertagen. Möchte jemand den entsprechenden Antrag stellen?«
    Eine gutturale Stimme sagte: »Ich beantrage, die Versammlung
sine die
aufzulösen.«
    Aillas starrte die in einer Reihe vor ihm sitzenden Gerippe an. Welches von ihnen hatte da gesprochen? Oder hatte er seine eigene Stimme gehört? Nach einem Moment des Schweigens fragte er: »Gibt es Nein-Stimmen?«
    Schweigen.
    »In dem Fall«, sagte Aillas, »ist das Konklave aufgelöst.«
    Er machte sich sofort an die Arbeit. Er zerlegte jedes einzelne Gerippe, sortierte die Einzelteile, erprobte sie in neuen Kombinationen, um nach den bestmöglichen

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