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Lyonesse 1 - Herrscher von Lyonesse

Titel: Lyonesse 1 - Herrscher von Lyonesse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Vance
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Verbindungen zu forschen. Dann begann er zu bauen. Er fügte mit Sorgfalt und Präzision Knochen an Knochen. Wo nötig, rauhte er die Knochen an der Steinwand auf. Zum Zusammenbinden benutzte er die Fasern des Seils. Er begann mit vier Becken, die er mit Streben aus aneinandergebundenen Rippen stützte. Auf dieses Fundament setzte er ein kunstvoll zusammengefügtes Gebilde aus den vier größten Oberschenkelknochen, und darauf abermals vier Becken, gestützt und verstrebt mit weiteren Rippen. Über diese Plattform montierte er vier weitere Oberschenkelknochen, gefolgt von den letzten vier Becken. Zahlreiche Kreuz-, Längs- und Querverstrebungen verliehen dieser Konstruktion Halt. Er hatte nun ein zweistöckiges Gerüst, welches, als er es vorsichtig erprobte, sein Gewicht klaglos trug. Nun nahm er die beiden nächsten Stockwerke in Angriff. Er arbeitete ohne Hast, Tag um Tag, Woche um Woche, entschlossen, seinem Werk eine Festigkeit zu verleihen, die es im kritischen Moment sicher würde standhalten lassen. Um dem Gerüst Seitenhalt zu geben, bohrte er Knochensplitter in die Bodenfugen und spannte Stützseile; die Stabilität der Konstruktion erfüllte ihn mit wilder Befriedigung. Das Gerüst war nun sein ganzes Leben, ein Werk von Schönheit an sich, so daß die Flucht als solche in ihrer Wichtigkeit beinahe hinter dem prachtvollen Gerüst zurücktrat.
    Er berauschte sich an den schlanken weißen Streben, den sauberen Fugen, dem noblen Aufwärtsschwung.
    Das Gerüst war fertig. Die oberste Plattform, zusammengefügt aus Ellen und Speichen, lag nur zweiFuß unter der Öffnung des Schachts, und Aillas übte mit ungeheurer Behutsamkeit, von der Plattform in den Schacht zu klimmen. Seiner Flucht stand nun nichts mehr im Wege. Er mußte nur noch den nächsten Korb mit Wasser und Brot abwarten, um nicht Zerling in die Arme zu laufen, just wenn dieser ihm sein Essen brachte. Wenn Zerling dann das nächste-mal kommen und den Korb mit dem unberührten Essen wieder hochziehen würde, dann würde er weise nicken und fortan kein Essen mehr bringen.
    Brot und Wasser wurden am Mittag herabgelassen. Aillas leerte den Korb, der sogleich wieder hochgezogen wurde.
    Der Nachmittag zog sich hin – noch nie war Zeit soschleppend vergangen. Die Öffnung des Schachts verdunkelte sich: Es war Abend geworden. Aillas erklomm das Gerüst. Obern angekommen, preßte er die Schultern gegen die eine Seite des Schachts und stemmte sich mit den Beinen gegen die andere, so daß er wie ein Keil fest und sicher in der röhrenförmigen Öffnung stak. Dann begann er, sich Zoll um Zoll nach oben zu arbeiten. Ein wenig unbeholfen zuerst und verkrampft, aus Angst, abzugleiten und in die Tiefe zu stürzen, dann gewann er zunehmend an Sicherheit. Er hielt einmal inne, um zu verschnaufen, und ein zweites Mal, als er sich nur mehr drei Fuß unterhalb der Öffnung befand, um zu horchen.
    Stille.
    Er arbeitete sich weiter nach oben, vor Anstrengung die Zähne aufeinanderbeißend, das Gesicht zu einer Grimasse der Anspannung verzerrt. Er schobsich mit den Schultern über den Rand der Öffnung und rollte sich seitwärts. Langsam richtete er sich auf.
    Die Nacht war still. Zu seiner Linken erhob sich die dunkle Masse des Peinhador. Aillas rannte geduckt zu der alten Mauer, die den Urquial umgab. Wie eine große schwarze Ratte huschte er durch den Schatten zu der alten Hinterpforte.
    Die Tür stand halb offen. Sie hing schief in einer Angel, die andere war weggebrochen. Aillas spähte nervös hinunter in den Garten. Vorsichtig geducktschlüpfte er durch die Öffnung. Kein Laut kam aus der Dunkelheit. Aillas spürte, daß der Garten verlassen war.
    Er stieg den Pfad hinunter zur Kapelle. Wie er erwartet hatte, brannte keine Kerze. Die Feuerstelle war kalt. Er ging weiter hinunter. Der Mond, der in diesem Moment über den Hügeln aufging, schien auf den blassen Marmor der Ruinen. Aillas blieb stehen, spähte und lauschte, dann ging er weiter zu dem Lindenbaum.
    »Aillas.«
    Er blieb stehen. Wieder vernahm er die Stimme. Sie sprach leise, fast im Flüsterton. »Aillas.«
    Er ging auf den Lindenbaum zu. »Suldrun? Ich bin hier.«
    Neben dem Baum stand eine Gestalt aus Dunst und Nebelschwaden.
    »Aillas, Aillas, du kommst zu spät. Sie haben uns unseren Sohn genommen.«
    Verwundert fragte Aillas: »›Unseren Sohn‹?«
    »Er heißt Dhrun, und nun ist er für immer fort von mir ... O Aillas, es ist nicht angenehm, tot zu sein.«
    Tränen schossen Aillas in die Augen.

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